Dornen im Herzen – „White Elephants“ im Marstall (Kritik)

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Ein Psychiater und sein Patient.
Der Patient wedelt plötzlich mit den Armen.
Der Psychiater: „Was tun Sie da?“
Patient: „Ich verscheuche die Elefanten.“
Psychiater: „Doch nicht alle zu mir!“

© Konrad Fersterer

So makaber ist das Thema dieser Premiere umrissen. „White Elephants“, im Rahmen des Marstallplans 2018 des Residenztheaters unter dem Motto „Welt/Bühne“, ebenda gespielt, befasst sich mit der (zu?) engen Beziehung einer von der Welt verstoßenen Mutter (Ulrike Willenbacher) und ihrem, von der Natur gezeichneten Sohn. Zainabu Jallo beschreibt bereits in der Textvorlage sehr sensibel das Innen- und Außenleben von Celestial (Oliver Möller). Er ist blind; ob er zudem schizophren ist, an einer multiplen Persönlichkeitsstörung leidet oder woher Vox (Mathilde Bundschuh), die Stimme in seinem Kopf, sonst kommt, wird nicht erklärt. Doch jeder, der einen solchen Menschen kennt, merkt schnell:  Der oft unternommene Versuch, solche Menschen zu ergründen, glückt hier sehr gut.  Mit sehr viel Feingefühl und Respekt zeigt Regisseurin Britta Ender, wie innig liebend und zugleich grausam und verletzend („Dornen im Herzen“) so eine besondere Mutter-Kind-Beziehung ist. Vox und Celestial können nicht mit- und nicht ohne einander.
Er und seine Mutter? Die Momente sind oft absurd, aber genauso laufen sie ab, wenn man mit Menschen spricht, die nicht immer wissen, was sie sagen oder welche Gefühle sie ihm Gegenüber auslösen.

Helles Licht strahlt Publikum an, wie das Licht, das Sabbath in Celestials Augen sah, als dieser geboren wurde. Der Klang des Stückes ist ein Rauschen, ein Störgeräusch, das dem Zuschauer im Ohr liegt wie Tinnitus. Sehr wenig, dafür sehr passende Musik.
Gut überlegte Aufstellungen, nicht lediglich am Text koordinierte Auf- und Abgänge, intensivieren die Stimmung zusätzlich. Fast immer sind alle Schauspieler auf der Bühne, deren Großteil von einem kleinen Raum,  wie in einer Zelle, eingenommen wird. Durch deren Wände kann nur Vox gehen und blicken.

© Konrad Fersterer

Universellen Fragen über die Sterne und einen Selbst geben sich der blinde Seher (diese Kombination ist ja im Theater nicht unbekannt) und sein Alter Ego hin.
Die Blindheit des einen ist die Hoffnung des Anderen, möchte man meinen – hat doch der hilfsbedürftige Sohn, der mit 42 Jahren noch immer in Mutters Bett kommt, der alten Frau bis dahin einen Lebenssinn gegeben. Geschenk? Sünde? Klage? Was ist so ein Kind, auch wenn es längst kein Kinder mehr ist? Wer ist hier eigentlich verrückt?, fragt man sich manchmal, wenn man die drei so sieht. Würde das Stück in den USA verfilmt, es hieße wohl „Mein Sohn, sein Alter Ego und ich“.
Die drei Schauspieler tragen die Stimmung wunderbar. Bundschuh beweist, dass sie es schafft, selbst eine psychische Anomalie zu verkörpern. Möller überzeugt, ohne den „sabbernenden Behindi“ zu mimen und beweist damit wirklich Talent! Und auch Willenbacher kann den schmalen Grad zwischen Resignation., Liebe und Verzweiflung vereint auf die Bühne bringen. Das ist schon groß, was da geliefert wird!

Alles in allem ist das Stück ernst, etwas schwer, aber nicht erdrückend. Kluge Entscheidungen, Spannung gehalten.
Am Ende bleibt der Mutter nur, dem Leben zu entfliehen und den Sohne zur Flucht zu zwingen. Dass er und sein Hirngespinst nicht untrennbar waren, kann vermutet werden, als diese am Ende allein auf der Bühne sitzt.

Kritik: Jana Taendler