Sie habe es im Livestream gesehen und es wäre „fürchterlich“ gewesen, sagt eine Dame vorm Eingang des Cuvilliéstheater, die soeben ihre Karte für die Vorstellung zu „Singularity“ verkauft. Dass die Neuproduktion des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper wohl kein Liebling aller Opernfans werden dürfte, war seit der Ankündigung klar. Miroslav Srnka, u.a. Komponist der ebenfalls an der Bayerische Staatsoper uraufgeführten Oper „South Pole“, hat sich der Virtualität angenommen und als Auftragswerk das ebengenannte „Singularity“ komponiert. Avantgarde in Reinform – des Öfteren praktiziert an der BSO, genauso oft geliebt wie abgelehnt. Am 5. Juni feierte das Werk Uraufführung.
Spannend, dass bereits so ein minimalistisch und ungewöhnlich besetztes Orchester (u.a. elektronische Sounds, E-Gitarre) und das vollkommen weiße Bühnenbild beim Betreten des Saals ins Auge springt – und einen wahnsinnigen Kontrast zum altehrwürdigen Rokoko-Theater bietet. Auch der Startschuss ist ungewöhnlich, denn das Orchester bleibt stumm. Töne machen dagegen Protagonist B (Andrew Hamilton) und sein digitales Alter Ego eB (Theodore Platt), die vertieft im Gaming nur digital mit der Freundin S (Eliza Boom) und ihr digitales eS (Juliana Zara) kommunizieren. Auf den Liebesbeweis wartet sie vergeblich. Dann geht mächtig was schief und B landet mit zwei weiteren Personen inklusive e-Versionen in einem großen weißen Raum voller Löcher. Die Zeit vergeht dort kaum, dunkle Materie bedingt, wie wir später vom Computer erfahren, der von der Decke herabkommt. Klingt alles reichlich verrückt, ist es auch. Dennoch ist die Handlung im Gesamtkomplex, die Idee der Digital/Analog-getrennten Kommunikation, teils auch losgelöst voneinander, eine schöne, die interessant angegangen wird. Die e-Versionen entwickeln dabei auch ein Eigenleben – leider aber keine eigene Geschichte.
Srnkas Musik ist ruppig, unerwartet, manchmal nur sehr begleitend, aber vor allem die ganze Zeit im Hintergrund. Was wirken soll, sind die Akteur*innen auf der Bühne, ihr zumeist schauspielerisches Können, dass die utopische, fast dystopische Stimmung auffängt. Gelingen tut das vor allem aufgrund des grandiosen Ensembles aus dem Opernstudio. Natürlich gibt es auch gesangliche Momente, in denen Daria Proszek als analoge M genauso wie George Virban als analoger T in ordentliche Höhen gehen, aber nach kurzer Zeit ist das sofort wieder vorbei. Es gibt dann doch auch die Verwirrung und Schnelllebigkeit von B, T und M wieder, die als einzige Ungeupdateten in der Schwebe sind, erst Stunden, dann Monate, am Ende weit über 40 Jahre. Veloren oder dümmlich wirkt das Trio, weniger bösartig, zum Schluss nur noch gelangweilt. Die Kommunikation driftet zunehmend ab, neben Worten kommen vermehrt Emojis zum Einsatz beim „Messagen“, also der Kommunikationsform unter den Menschen. Das Texten wird da auch gerne mal zum Sexten. Der spannendste Aspekt: die Vertonung von Emojis. Ein alles andere als einfaches Unterfangen, dass allerdings wirklich grandios gelingt. Chapeau!
Der Applaus nach den rund 90 Minuten ist herzlich und sehr wohlwollend, wenngleich wohl nicht alle im Saal mit dieser futuristisch-eigenwilligen Version einer avantgardistischen Oper etwas anzufangen wussten. Nach „Mavra/Iolanta“ und „Mignon“ erscheint „Singularity“ fast wie ein Fremdkörper – und ist vielleicht genau deshalb der richtige Weg, im kleineren Rahmen solche Experimente zu wagen. Von „fürchterlich“ kann keine Rede sein, und doch ist Srnkas Spieloper meilenweit vom massentauglichen Mozart entfernt. Das Projekt „space opera for young voices“ – fraglos geglückt.
Kritik: Ludwig Stadler