(Anti-)Held in heiliger Mission – „Parsifal“ in der Staatsoper (Kritik)

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Ziemlich früh ist es, als das Surren der Theaterklingel ein letztes Mal ertönt und die Türen sich schließen. 17 Uhr unter der Woche. Während die meisten noch im Büro ihrer Arbeit nachgehen, sitzen über 2.000 Opernbegeisterte im restlos ausverkauften Nationaltheater, um sich das Ultimatum der Oper, die Traumbesetzung, gefühlt das sensationelle Opernereignis anzusehen, nämlich „Parsifal“ an der Bayerischen Staatsoper. Zu den Opernfestspielen präsentiert das Haus dieses Mal Richard Wagners Letztwerk in einer Besetzung, die sich wie ein Wunsch-Cast lies: Kaufmann, Gerhaher, Stemme, Pape. Dementsprechend der Preis, dementsprechend die Erwartung.

© Wilfried Hösl

Bereits das Kreativ-Team hat Aufsehen erregt: Maler Georg Baselitz und Regisseur Pierre Audi haben in gemeinsamer Arbeit die Inszenierung erarbeitet. Der weltbekannte Maler stattet Opern nur äußerst selten aus – so war es für die BSO ein besonders großes Glück, dass sie den Künstler für die Neuproduktion des „Parsifal“ gewinnen konnte. Was sich im Voraus fantastisch angehört hat, wirkt auf der Bühne leider nur noch nüchtern. Die Zeichnungen von Baselitz werden exakt umgesetzt, teilweise alte Werke wiederverwertet – die gesamte Welt ist wahnsinnig düster und dunkel gestaltet und sieht die Geschichte des „reinen Tor“ als pure Tragödie und weniger als erlösende Mission. Soweit so gut, dennoch fällt damit wohl automatisch der Gral auf der Bühne vollkommen weg. Stattdessen stehen ein paar krakelige Bäume auf der Bühne, ein Zelt-Konstrukt aus Steinen (wohl die Heimat der Gralshüter) und ein ulkiges Skelett. „Vielleicht ist das der heilige Gral?, sinniert Dramaturg Benedikt Stampfli in der Einführung. Mit der Argumentationsgrundlage könnte genauso gut das kleine Feuer oder jeder erstbeste Baum der Gral sein.

© Ruth Walz

Auch im zweiten Akt (eine etwas kritzelige Mauer mit Bruch, die so aussieht, als hätte man Kaffee partiell darüber geschüttet) und im dritten Akt (Bild des ersten Akts, nur falsch herum) folgen keine Überraschungen geschweige denn Interpretationen. Es wirkt ein wenig, als hätte Baselitz erst einmal das gemacht, was er immer tut: alles auf den Kopf stellen. Audi hatte dann die ehrenvolle Aufgabe, daraus eine Interpretation, eine Grundlage für die komplexe Wagner-Oper zu erstellen, und hat sich wohl entschieden, einfach nichts zu tun. Das ist ungefähr so einzigartig wie ein Suppenlöffel und ähnlich kreativ wie Paletten stapeln. Stattdessen irren die Akteure etwas verloren auf der Bühne umher, spielen mehr neben- als miteinander und folgen keiner Linie, nur eben der Musik. Wenn also Amfortas seine große Klage, final mit den „Erbarmen!“-Rufen, singt, steht Parsifal selten überfordert und ähnlich nutzlos wie die Bäume daneben. Insbesondere im zweiten Akt, abgesehen von der musikalischen Seite, entsteht hinter dem schwachen Bühnenbild der weißen Mauer letztendlich die Assoziation, dass genau das nun das Bild ist, wie sich die Unwissenden Oper klischeehaft vorstellen: zwei Singende, die sich mit veralteten Texten bewerfen, vor einem spröden Banner. Wäre das wohl der erste Opern-Besuch, es wäre womöglich der letzte.

Genauso wie die Inszenierung allerdings abgestraft gehört, sollte man die musikalische Komponente nicht nur loben, sondern sogar fast schon vergöttern. Kirill Petrenko, der sein Parsifal-Debüt gibt, führt das Bayerische Staatsorchester mit einem taktvollen und dennoch niemals überschwänglichen, aber auch nicht zurückhaltenden (im positiven Sinne!) Dirigat durch die knapp vierstündige Aufführung. Der tosende Applaus, immer wenn er seinen Platz einnimmt, ist absolut gerechtfertigt. René Pape als fantastischer Gurnemanz singt routiniert, aber vortrefflich. Debütanten in ihren Partien sind Christian Gerhaher als Amfortas und Nina Stemme als Kundry. Während ersterer die Rolle des dauerverwundeten Gralskönig mit noch mehr Stimmgewalt als üblich darbietet, fährt Stemme als Kundry verdient riesengroßen Jubel ein – gekonnt und in toller Kombination mit Jonas Kaufmann glänzt sie im zweiten Akt in der Szene der Verführung Parsifals. Kaufmann selbst, Inhaber der Titelpartie, ist sicherlich wieder für viele Besucher ein Kaufgrund gewesen und wird diese garantiert nicht enttäuscht haben. Besonders im wahnsinnig starken und den Vor- und Nachgängerabschnitten um Längen überlegenen zweiten Akt gibt es ein wahres Highlight des Operngesangs zu hören. Wenn man Leid und Kummer vertonen muss, dann bitte genauso – und ebenso aufgeführt. Die überschwänglichen „Bravo“-Rufe, sie sind bei jeder Darstellerin, jedem Darsteller und natürlich Petrenko und dem Staatsorchester fast schon Pflicht.

© Ruth Walz

Man soll doch einfach die Augen schließen, dann wäre das alles viel erträglicher, konnte man in einer Kritik lesen. Und so plump und provokativ das auch verfasst sein mag, steckt da ein wahrer Kern drin. Die Kostüme sind nämlich leider eine Vollkatastrophe. Parsifal bekommt ein billiges Papp-Gedeck umgehängt und gleicht später im dritten Akt als verkleideter Ritter dem Amazon-Maskottchen. Wolfgang Koch als Klingsor könnte wohl genauso nach einer wilden Faschingsnacht aus dem P1 kommen, so wie er ausgestattet wurde – mit furchteinflößender Wut und einem adäquaten Gegenspieler hat das nichts zu tun. Das verhunzteste Kostüm bekommt sogleich der, der die größte schauspielerische Leistung vollzieht: Gerhaher als Amfortas. Sein Mantel gleicht einer Bettdecke, die Wunde ist schlichtweg ein blutiger Fleck – bei einer Inszenierung, die so stark auf Selbsterkenntnis und eigene Gedanken setzt, schlicht nicht konsequent. Bei der Wiederaufnahme nächsten März fehlen dann Kaufmann und Gerhaher, aber Petrenko dirigiert glücklicherweise dennoch. Die Inszenierung lohnt garantiert keinen Besuch, aber das Musikalische umso mehr – es rechtfertigt nun einmal jeden Preis und lässt spröde Bühnen äußerst gerne aushalten.

Kritik: Ludwig Stadler
Besuchte Vorstellung: 5. Juli 2018