„Ich bin nicht wie sie, kann aber so tun“ – „Nirvanas Last“ in den Kammerspielen (Kritik)

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25 Jahre ist das letzte Konzert der Band Nirvana mittlerweile her, damals am 1. März 1994 am Flughafen in Riem – also in München. Anschließend sagte die Band die gesamte Tour ab, es folgten zwei Suizidversuche von Sänger Kurt Cobain, kurz danach der Tod. Ihr frühes Ende machte sie zum Mysterium, teilweise zum Märtyrertum – womöglich war, könnte man hämisch überladen sagen, Cubains Tod der einzig konsequente Zug, dem Mainstream zu entkommen, dem sie unweigerlich verfallen sind. Damian Rebgetz, seit einigen Jahren bereits Schauspieler an den Münchner Kammerspielen, hat sich dem Thema angenommen und in einem eigenwilligen Konzept „Nirvanas Last“ am 24. Oktober 2019 in der Kammer 1 Premiere feiern lassen.

© David Baltzer

Zu Beginn schreitet Regisseur und Mitwirkender Rebgetz selbst auf die Bühne, setzt sich mit einem Märchenbuch-anmutenden Schmöker auf die Bühne und erzählt gewitzt von der Historie der Band. 25 Minuten geht dieses Erzählen nun – unfreiwillig komisch, da er sich seinem Deutsch mit starkem Akzent nicht entziehen kann, aber natürlich spielt er auch damit. Vier Jahre sei er nun hier in Bayern – mittlerweile habe er die dunklen Seiten der Berglandschaften auch entdeckt. Der Bezug deutlich: die konservative Politik der CSU und heimattümelige Einstellung vieler Urbayern, auch ihr rassistisches und ausschließendes Denken – mia san mia, und du bist auch da. Das möchte er nun in Kontext mit Nirvana setzen, die ihren eigenen Werten – der Kapitalismuskritik, dem Non-Mainstream, dem GRUNGE – auch nicht gerecht wurden und sich letztendlich im eigenen System verloren haben, vielleicht sogar haben müssen. In Bayern, so Rebgetz, sei dies auch gescheitert. Damit nimmt er, bevor das Stück überhaupt beginnt, schon jegliche Deutung und Analyse vorweg.

Das Münchner Konzert wolle er nachspielen, erzählt er, in Form eines Tribute-Konzerts. Aber nein, sie seien weder Musiker noch Nirvana, sondern Schauspieler. Dementsprechend habe er von Ann Cotten die Texte des letzten Konzerts ins Deutsch-Bayerische übersetzen und von Paul Hankinson neu anordnen und arrangieren lassen. Den Beginn macht so Benjamin Radjaipour als androgyner Trachtler, der zu verzerrten Pop-Electro-Klängen die ersten Nummern des Konzerts performt – bis zum stilechten und auch damals geschehenen Stromausfall. Radjaipour verschwindet in einer Luke der Showtreppe, die gen Himmel zeigt – dann erscheint Damian Rebgetz, als Urbayer mit Schnauzer und Gewehr, und singt in Form eines Kunstliedabends, dass er ja kein Gewehr besitze – während er eins in der Hand hält. Die Scheinheiligkeit des bayerischen Konservativen, wohl auch Korrupten.

© David Baltzer

Es fällt schwer, diesen Abend einzuordnen in feste Urteile. Einerseits ist es schier unerträglich, wenn beispielsweise Zeynep Bozbay die verdeutschte Version von „Lithium“ in Richtung des Publikums brüllt, während sie ein rotes Abendkleid trägt, oder das provokative „Rape Me“ zum fast volksmusikalischen Mehrgesang mit Blasmusik mutiert. Andererseits wird es hochmusikalisch und ehrlich beeindruckend, als in der Zugabe nebst den vier Darstellerinnen und Darstellern auch fünf Musiker hinzustoßen und stilecht die Titel im besten Kammermusik-Stil, zudem mehrstimmig, gestalten. Die Wahl der Akteure, so viel ist sicher, ist fein gewählt, das vierköpfige Schauspielensemble weiß ihre Stimmen einzusetzen, kann ehrlich singen, aber auch ehrlich verzerren. Die Intention hinter der gesamten Inszenierung, die negativen Punkte des bayerischen Heimatgefühls hervorzuheben, arbeitet sich aber auf die dann doch zu langen 130 Minuten einfach ab – es erfordert Sitzfleisch, fast ein wenig Nirvana-Begeisterung oder mindestens absolute Zustimmung, um sich dem Abend in der Form hingeben zu können, wie es Rebgetz geplant hat.

Es bleibt eine kontrastreiche Vorstellung, die den Ewiggestrigen in München eine deutliche Botschaft zukommen lässt, wenngleich wohl niemand der Angesprochenen tatsächlich im Publikum sitzen wird. Nirvana sind gescheitert, kläglich und früh, vielleicht auch zu früh, aber Bayern? Die Wahlergebnisse, immerhin in München, lassen hoffen, dass die Zeit des „Mia san mia“ und der CSU-Vetternwirtschaft sich dem Ende neigt. Wobei diese, wenn sie sich das Tribute-Konzert ansehen würden, nur, ganz im Stil von „On A Plain“, fragen werden: What the hell are they trying to say?

Kritik: Ludwig Stadler