„Zu modern, selbst für heute“ – Helge Schneider in der Philharmonie (Kritik)

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Es ist der 4. März 2019, Rosenmontag. Die Philharmonie ist an diesem Abend schon seit vielen Wochen restlos ausverkauft, denn angekündigt hat sich kein geringerer als Helge Schneider, das Urgestein der spontanen Musik-Blödelei und der vielleicht einzige Mensch, der es schafft, ein Instrument so zu spielen, dass es zugleich unvergleichbar humorvoll und dennoch virtuos und kunstfertig in den Ohren der Hörerschaft klingt. Ein Musiker, der seine Art, Musik zu spielen, auf seine ganze Show übertragen hat.

Die Veranstaltung beginnt ziemlich pünktlich um 20 Uhr. Zuerst kommt die Band auf die Bühne: An der Gitarre der erfolgreiche Blueser Henrik Freischlader, schon ein kleines Highlight für sich, am Bass der Amerikaner Ira Coleman und am Schlagzeug der über den ganzen Abend hinweg sichtlich amüsierte Petze Thoms. Alle drei sind hochkarätige Musiker, die sich auf einem Jazzfestival nicht verstecken müssen. Diese hervorragenden Begleiter braucht Helge Schneider allerdings auch, denn geplant ist an diesem Abend nicht viel. Wenn er auf die Bühne geht, dann beginnt sein Programm erst, sich zu entwickeln. Denn eine wesentliche Eigenschaft des Jazz, die Improvisation als Kunstform, hat Schneider auf sein ganzes Bühnenkonzept übertragen und zum Markenzeichen seiner Veranstaltungen gemacht. Er spricht, spielt, singt oder tanzt, worauf er gerade Lust hat, und kreiert damit alles von purer Blödelei bis zu anspruchsvoller und hintergründiger Satire, von seinen virtuosen Fähigkeiten an diversen Instrumenten ganz zu schweigen.

Da das Programm durch ebenjene Spontaneität, Improvisation und Ironie geprägt ist, sollen hier nur ein paar Ausschnitte beispielhaft genannt werden: Als er kurz nach seiner Band die Bühne betritt, greift er sich die spanische Gitarre, spielt einige Töne, ruft schließlich „Ich falle…!“ und liegt am Boden. Punktgenau steigen die Musiker in eine ruhige Funk-Nummer ein. „Dance to the music“, singt Schneider. Dem folgt ein unterhaltsamer Sketch über einen zu früh geschlossenen Laden, einen entnervten, aggressiven Verkäufer und den schüchternen Kunden. Er spielt alle Rollen selbst. „München ist schöner als Paris – kann man sagen, wenn man denkt, dass München schöner ist als Paris.“ Er singt: „Baby, ich hole dich ab mit meinem Elektroauto, das lade ich auf, daheim im Vorgarten, mit meinem Generator, der läuft mit Diesel“. Helge Schneider spricht leichtfüßig und beinahe unbemerkt die großen Themen, die wichtigen Dinge des Alltags und des Lebens an. Angefangen von Münchens Arroganz als „schönste Stadt der Welt“ und Donald Trump ist es besonders die Umweltzerstörung, die es dem Musiker an diesem Abend angetan hat. „Praktisch, meine Flasche – die ist aus Plastik. Die kann man dann – nach dem Trinken – so richtig schön entsorgen – ab ins Meer!“ Anderes ist einfach nur Blödelei, aber auch diese kommt beim Publikum prima an. Beethoven, der sei 1,40m groß gewesen, und das wäre schon doppelt so viel wie der Durchschnitt zu seiner Zeit.

© gymnasm

Doch der Multiinstrumentalist ist in seiner Show nicht nur Komiker, sondern natürlich auch Musiker. Und gerade das beherrscht er meisterlich. Er spielt atemberaubende Soli an der Hammondorgel, sanfte Klavierpassagen, jazzige Saxophonstücke, rockige E-Gitarren-Parts, erstaunliche Melodien auf dem Vibraphon und beweist nebenbei immer wieder, dass er auch durchaus ein ordentlicher Sänger ist. Auch seine Mitmusiker kommen nicht zu kurz. Mit dezenten Handzeichen lenkt er die Band gekonnt und lässt ihnen Raum für eigene Ideen. Gerade Freischlader nutzt dies gerne für funkige und bluesige Gitarrensoli, aber auch Coleman und Thoms zeigen ihr Talent. Zwei besondere Gastauftritte gibt es natürlich auch wieder. Carlos Boes kommt mit einem winzigen, saxophonähnlichen Instrument auf die Bühne. Der hühnenhafte Mann steht gebückt vor einem niedrigen und kleinen Mikrophon und sorgt so das ganze Lied hindurch für großes Lachen. Doch der besondere Liebling des Publikums ist natürlich Sergej Gleithmann, ein langjähriger Wegbegleiter Schneiders, der mit seinem humorvollen, aber gekonnten Ausdruckstanz traditionell das Lied vom „Meisenmann“ begleitet. Diesmal wird der Vogel am Ende von seiner Kuckucksfrau verspeist. Dazu kommentiert der Musiker: „Die grausame Natur – sie ist so grausam. Und ihr wollt sie retten…!“

Die Musik, die er spiele, so Helge Schneider an einer Stelle des Abends, sei zu modern, selbst für heute. Deshalb klinge sein Cello-Spiel so schief, deswegen sei manches an diesem Abend so „kantig“. Vielleicht mehr als nur eine humorvolle Randbemerkung. Denn längst hat der zweifache Musik-Studium-Abbrecher seine eigene Kunstform geschaffen, die vermutlich weltweit ihresgleichen sucht. Ein tatsächlich einzigartiger Abend, wie es ihn noch nie gegeben hat und in derselben Form nie wieder geben wird.

Kritik: Thomas Steinbrunner