Heilung, das deutsch-dänisch-norwegische Musikprojekt um Kai Uwe Faust, Maria Franz und Christopher Juul, ist längst kein Geheimtipp mehr. Bereits mit ihrer ersten richtigen Tour durch Deutschland 2019 konnten sie Ausverkäufe vermelden, nun 2022, „nach der Pandemie“, kehren sie mit ihrem dritten Studioalbum Drif zurück. Die Nische nordischer traditioneller Klänge zieht mittlerweile nicht mehr nur Mittelalterenthusiasten an, sondern konnte sich durch Serien wie Vikings ebenfalls im Mainstream einnisten, so spielen Projekte wie Wardruna und eben Heilung, die Speerspitzen des Genres, mittlerweile in den großen Hallen der Nation.
Am 18. Dezember 2022 wird der Tourabschluss im Zenith München zelebriert, welches bereits zum Einlass um 18 Uhr stark besucht ist. Bis zum Beginn um 19 Uhr ist auch das Innere der Halle bereits gut gefüllt, lediglich der Bereich der großen Garderobe am anderen Ende gegenüber der Bühne bleibt abgehängt. Den Anfang macht Lili Refrain, die mit einer Floor-Tom Trommel, Gitarren, Glocken und einem Pedalboard inklusive Looper bewaffnet als Alleinunterhalterin musiziert. Mit ihrem experimentellen Sound vereint die Italienerin traditionelle Klänge mit moderner Technik und loopt ein Instrument nach dem anderen ein, bis ein druckvolles Klangbild entsteht, das von ihrer breiten vokalen Reichweite abgeschlossen wird.
Aus Eins mach Zwei, weiter geht es nach kurzer Umbaupause mit Eivor, die sich statt eines Loopers einen Multiinstrumentalisten als Begleitung mitgenommen hat. Eivor Palsdottir gilt als einer der größten Musikexporte der Färöer-Inseln und ist neben der Band Tyr wahrscheinlich der prominenteste Vertreter der färöischen Sprache in der Musikwelt. Musikalisch ähnlich zu Lili Refrain liegt hier der Fokus eher auf der enormen Gesangsleistung der gelernten Sopranistin. Allgemein erntet das Duo wohlverdienten Applaus, als nach einer guten halben Stunde der letzte Ton ausklingt.
Hinter dem Vorhang, der den hinteren Teil der Bühne verdeckt hat, ist bereits eine Tolkien-esque Bühnenlandschaft aufgebaut. Viele Bäume, Trommeln und sehr schlichte Lichter kommen bereits während dem Umbau zum Vorschein. Als kurz nach 21 Uhr dann die Lichter ausgehen, kommt eine fast 20-köpfige Bühnenbesetzung für das „Eröffnungsritual“ auf die Podeste, die standesgemäß im Vorfeld von einer Rumpelstilzchen-ähnlichen Figur eingeräuchert wurde. Fast zwei Stunden folgt daraufhin eine Darbietung, die schwer in Worte zu fassen ist. Eine absolute Symbiose aus Musik und Theatralik, eine enorme Liebe zum Detail, sowohl klangtechnisch als auch optisch. Die kreative Einbindung der Darsteller*innen in die Musik und in das Bühnengeschehen, die komplett durchdachte Bühnenchoreografie, alles ist zur Perfektion durchgetaktet. Es fühlt sich an, als würde auf der Bühne eine Geschichte erzählt werden, unter der Leitung der drei Hauptprotagonisten von Heilung.
Selbst die wenig vorhandene Kommunikation mit dem Publikum, die fairerweise bei einem solchen Konzept auch einfach kaum Platz hat, wird in Form von zum Höhepunkt des Sets crowdsurfenden und im Publikum tanzenden Darsteller*innen, die ihre Berufung als Club-Aldiana-Animateure scheinbar verfehlt haben, hervorragend eingebunden. Schnell wird klar, warum Heilung mit einem solch „speziellen“ Konzept solch großen Erfolg haben. Die Balance aus Show und Authentizität, sowohl in der Musik als auch den Showelementen, zeigt, dass hier eine enorme Arbeit aber auch enorme Überzeugung hinter dem Projekt stehen. Traditionelle Klänge und entsprechend authentische Instrumente treffen auf unkonventionelle, aber passende Gesangselemente, bei denen die zwei Stunden trotz mittelalterlicher Songstrukturen, ohne Refrains oder Strophen, wie im Fluge vergehen. Nach Tänzen, Feuer, Sopranpassagen, Ritualen und Opferung geht das Konzert, wie schon zu Beginn, mit einem weiteren Abschlussritual zu Ende und schließt den Abend makellos ab.
Einziges Manko im Fazit sind die Gerüche, die auch nach dem Konzert noch in der Kleidung hängen, wobei schwer festzustellen ist, ob die Note von Opas altem Lederhut und frisch gegerbten Stiefeln von der Bühne kommt, oder aus dem zahlreich in traditioneller Kluft erschienenem Publikum stammt. Alles in Allem ein mehr als beeindruckendes Konzerterlebnis, das auch für Fans anderer Genres absolut interessant ist.
Bericht: Luka Schwarzlose