Auf den ersten Blick und selbst beim Lesen des Informationstextes klingt „Habitat/München“ nach der Art Theater, die Laien dem „modernen Theater“ immer vorwerfen: Nacktheit, Performance, laute Musik. Der Zusammenhang? Nicht geboten, es gilt seinen eigenen zu erstellen. Und so ganz sind die Kategorisierungen auch auf die Inszenierung von Doris Uhlich nicht abzuwenden, im Gegenteil: sie werden bestätigt und in vollem Maße ausgekostet. Dass dies aber alles andere als negativ sein muss, beweisen die Münchner Kammerspiele seit dem 9. Oktober 2020 in der Therese-Giese-Halle, ehemals Kammer 2.
Schon beim Betreten findet man die Stühle rund um die Tanzfläche im Abstand aufgestellt, einen Kreis kleiner die Performer*innen, welche bereits nackt und zumeist auch bewegungslos vor den Sitzenden stillstehen. Aus Unsicherheit und teils auch Scham behält das Publikum, bis auf wenige Ausnahmen, die Maske auf, diese Rest-Anonymität scheint den Zusehenden doch in dieser intimen Körperarbeit wichtig. Dass sich die Darsteller*innen sehr divers zusammenstellen, war abzusehen, ist aber im Kontext noch treffender und passender: sowohl im Alter als auch Gewicht gibt es alle möglichen Varianten, selbst äußerliche Stereotype werden abgedeckt, mit Erwin Aljukic ist auch eine Person mit körperlicher Behinderung involviert – ein Querschnitt der Gesellschaft also. Anfangs noch sich bewegende Individuen. Bis die Musik einsetzt.
Ob es am definierten Techno-Beat liegt oder den tanzenden Körpern, es entsteht ein Gefühl von Einheit. Eine Anzahl von Personen, so unterschiedlich sie sein mögen, wachsen zu einer vibrierenden Masse zusammen. Dieser Weg ist überraschend, begeisternd und tatsächlich unerwartet, hat man noch zuvor eben diese Unterschiede wahrgenommen. Zwar wird man da selbst ein wenig wehmütig, wenn man an das strikte Tanzverbot in Bayern denkt und ebenso die nicht bestehende Möglichkeit, eine solche kollektive Erfahrung in baldiger Zukunft machen zu können, aber es ist auch eine Wohltat, diese Gruppe eins werden zu sehen. Der Rhythmus lässt sie tanzen, über die Fläche gehen oder auch auf der Technik-Empore bewegen, der Raum ist (auf Abstand) gesprengt. Ein solches Kollektivereignis gibt so starke und intensive Body Positivity wie bisher noch nicht auf der Bühne gelungen.
Etwas schade daher, dass der finale Block mit Bewegungen in plastischen Ganzkörperanzügen dagegen ordentlich abfällt. Berührungen sind, der Pandemie geschuldet, natürlich nicht möglich, weshalb sich die Menschen vollkommen verhüllen und eben so aufeinander zu laufen oder abstandsfrei eine Mitte bilden. Das ist trauriger Irrsinn, aber Zeichen der Zeit. Die Geräusche des quietschenden Plastiks und der maßlos verschwitzten Anzüge löst allerdings mehr Ekel als Gemeinschaft aus und sendet eine nicht ganz gelungene Emotion beim Verlassen der Halle. Der Applaus gebührt aber deutlich den Performer*innen, die – trotz Maske oder plastischen Anzügen – auf Höchstleistungen gemeinschaftliche Bewegungen zelebrierten. Und egal ob München, Berlin oder Castrop-Rauxel – diese Menschen gibt es überall. Und sie sind überall gleich. Immer.
Kritik: Ludwig Stadler