„Weißt du was, ich leide jetzt!“ – Der Selbstmörder im Volkstheater (Kritik)

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Am 6. November 2021 öffneten sich im Münchner Volkstheater, wenn auch unter 2G-Regeln, wieder die Vorhänge für eine neue Premiere, für ein eher unbekanntes Stück, dafür aber mit reichlich von allem, was man sich so wünscht. „Der Selbstmörder“, so der wenig lustig Name der umso lustigeren Inszenierung. Das Stück ist wohl auch, als nur eines von zwei Stücken von Nikolai Erdman, verständlicherweise eher unbekannt, wurde der Autor doch in der Höhe seines Schaffens unter Stalin verboten und konnte erst viel später aufgeführt werden. Aber wenn man den Stoff nicht kennt, so fällt es auch schwer, eben dieses zu vergleichen; denn ein solcher Vergleich könnte bei der Aufführung im Volkstheater durchaus der größte Schwachpunkt, aber auch die größte Stärke der Inszenierung sein.

© Gabriela Neeb

Abgesehen von der groben Geschichtsstruktur erinnert wenig an das Russland der 20er Jahre. Es dreht sich alles um den arbeitslosen Semjon (Lorenz Hochhuth), welcher zusammen mit seiner Frau Mascha (Carolin Hartmann) in einem Mietshaus, und quasi im Abfall, lebt. Auf seinen Versuch hin, doch noch etwas mit seinem Leben anzufangen, will er das Spielen der Tuba erlernen, doch versagt auch hier. Nachdem nicht einmal sein Nachbar Alexander (Janek Maudrich) ihm mehr helfen kann, beschließt er, dass er sich auch gleich das Leben nehmen kann, was einige seiner Bekannten auf den Plan ruft, wie Aristarch (Silas Breiding) und Kleopatra (Jan Meeno Jürgens), welche nun beide irgendwie versuchen, ihn in ebendiesen Selbstmord zu treiben und ihn dabei zu instrumentalisieren; sei es als Zeichen für eine bessere Welt oder einfach nur als Liebesbeweis. Gemeinsam wird schließlich beschlossen, dass es am Wannsee sein soll, wo sich schon Heinrich von Kleist mit seiner geliebten das Leben genommen hat. Mascha erfährt von all diesen Vorhaben nichts, während Semjon endlich wieder im Mittelpunkt steht. Kurz vor dem Ziel aber gibt er dennoch auf – er kann es nicht, er will leben und wird schließlich von seiner Frau gerettet.

© Gabriela Neeb

Die Inszenierung an sich zu beschreiben fällt im Gegensatz dazu schon deutlich schwerer. Grundsätzlich handelt es sich bei der Regiearbeit von Claudia Bossard um eine absurde Mischung aus philosophisch-tiefgehenden Originalpassagen, die fast nicht zu verstehen sind, Flachwitzen, sinnlosen Einwürfen und Musik. Ja, es wird auch gesungen, und nicht zu knapp: Doch selbst hier merkt man dem Stück seine sprudelnde Kreativität an: von Geigenmusik zu E-Gitarren und Klavieren, von russischen bis zu englischen und sogar bayerischen Liedern ist alles vorhanden, was das womöglich Herz begehrt. Es gelingt der Inszenierung sehr gut, diese Lieder nicht sinnlos erscheinen zu lassen, sondern stattdessen mit ihnen das Stück mehr als gut zu ergänzen. Natürlich handelt es sich um eine Komödie, aber auch hier ist der Kontrast gegeben: Neben wirklich witzigen Stücken gibt es auch solche, die zum Nachdenken anregen, die melancholisch sind oder einfach nur wie aus dem Leben gerissen wirken.

Hier tun auch die Kostüme von Andy Besuch ihr Übriges. Alle Charaktere wirken abgeranzt und verloren; manche versuchen sich mit glitzernden Stücken etwas von ihrem Glanz zu bewahren, aber trotzdem merkt man: hier ist man ganz unten angekommen. Alle stehen die ganze Zeit da und rauchen, ohne dass darüber ein Wort verloren wird. In dieser von anderen vergessenen Welt ist alles erlaubt, selbst Selbstmord. Da fällt es manchmal sogar schwer zu lachen, aber am Ende tut man es doch.

Natürlich muss man festhalten: Das Stück ist sicher nichts für jeden, man muss schon ein bisschen eine Neigung zum Absurden und zu ungewöhnlicher Komik haben. Ist das aber gegeben, so erwartet einen im Volkstheater ein wirklich gelungenes Theaterstück, das ohne Zweifel zu unterhalten weiß.

Kritik: Cedric Lipsdorf