Reise durch die Welten – „Der Medicus“ im Deutschen Theater (Kritik)

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© Petra Schönberger

Höchste Zeit wurde es, dass das Musical „Der Medicus“ nach seiner erfolgreichen Premiere wiederbelebt und auf die Bühne gebracht wird, stand es doch damals schon für ein innovatives und außergewöhnliches Stück, das problemlos mit den großen Major-Produktionen mithalten kann, ohne eine solche zu sein. Die 2018er-Version, die von Spotlight Musicals präsentiert und im Deutschen Theater München aufgeführt wird, wartet da bereits mit erstklassiger Besetzung auf, denn Patrick Stanke und Barbara Obermeier als Protagonisten-Paar zu besetzen, streut bereits zu Beginn viel Optimismus. Da ist der hohe prominente Besuch von Chris de Burgh nur umso passender, dessen Anwesenheit alleine der Premiere am 9. November 2018 noch einmal einen ganz anderen Charakter verleiht.

„Der Medicus“ geht ein Bestseller von Noah Gordon voraus, der von allen Seiten sehr lobend und begeistert angenommen wird – ganz im Gegenteil zur Verfilmung aus dem Jahr 2013, die wiederum ordentlich Kritik einfahren durfte. Zu wenig Story, zu viel Bombast, schlicht zu wenig Originalinhalt. All dem will sich das Musical also nun entgegenstellen – und zusätzlich noch mit Musik, Tanz und Entertainment überzeugen. Eine satte Aufgabe, aber bereits die schöne Fusion von wechselndem Bühnenbild und Projektionen weiß durchaus zu gefallen. Allgemein wechselt die liebevoll gestaltete Bühne mehrfach mit vielen Kulissen, die aus allen Seiten herbeigeflogen kommen – eben eine richtig aufwändige Produktion, die sich gleich zu Beginn nicht hinter anderen Longruns verstecken muss. Dazu gibt es auch keinen Grund.

© Spotlight Musicals

Das 170-minütige Vergnügen, Pause exklusiv, macht nämlich so ziemlich alles richtig, was man richtig machen kann. Zu keiner Sekunde kommt Langeweile oder Trägheit auf, nicht einmal bei kurzen Sequenzen, die die reguläre Handlung sprengen, aber eben genauso einen interessanten Impuls und nicht das Gefühl eines Lückenfüllers geben. Mit wunderbarer Musik von Dennis Martin und tatsächlich erfrischend kreativen Tanzeinlagen und Choreografien von Kim Duddy gelingt dem „Medicus“ genau das, was neuen Musicals meist verwehrt bleibt: ein Gefühl der totalen Berechtigung und der andauernden Existenz. Ein Gefühl, das man doch alles schon immer kenne, obwohl man die Melodien zum ersten Mal hört. Die politischen Exkurse über Religionsfreiheit und der Frage nach der Stellung von Religion und Wissenschaft in der Rangordnung und im Kontext bringen das Werk zusätzlich auf eine Ebene, die faktisch selten in diesem Genre erreicht werden: die Ebene der echten Tiefe und Nachdenklichkeit. Das Zusammenspiel von allein all dieser Faktoren ergibt eine ehrliche und neuartige Kreation, die sich bester Reaktionen im Publikumsraum erfreut.

© Petra Schönberger

Dabei ist bei alledem die vielleicht wichtigste Komponente noch vernachlässigt: die Akteure. Patrick Stanke, vor kurzem noch mit den „Musical Tenors“ im Deutschen Theater, darf den Protagonisten Rob Cole mimen, der die Reise von London zur persischen Stadt Isfahan auf sich nimmt, um sich zum Medicus ausbilden zu lassen. Stanke hat zudem natürlich die meiste Bühnenzeit inne, außerdem die mit Abstand komplexesten Liedern – diese meistert er aber allesamt mit Bravour und darf zurecht als „Abräumer“ des Abends betitelt werden. Dabei steht ihm seine Seelenverwandte Mary, gespielt von Barbara Obermeier, in nichts nach, beide harmonieren als Bühnenpaar und vermitteln die wichtige Portion Glaubwürdigkeit. Fehlbesetzungen fallen hierbei allgemein nicht auf, im Gegenteil, das Gesamtbild ist äußerst stimmig und fügt sich in das insgesamt bereits gelungene Setting nur noch stärker ein. Hervorhebenswert ist aber sicherlich noch Sebastian Lohse in seiner Rolle als Baader, der schauspielerisch besonders auffällt. Aber auch stimmlich steht er seiner Zeit Anfang der 2000er-Jahre bei der Folk-Metal-Band „Letzte Instanz“ in nichts nach.

„Der Medicus“ ist vielleicht genau deshalb so erfrischend, weil er eine längere und schwerwiegende Geschichte in überdurchschnittlich langer Bühnenzeit erzählt – und dabei doch zu keiner Sekunde langweilt. Wenn mehr neuere Produktionen so strahlend daherkommen, ist die Zukunft des Musicals abseits der Jukebox-Musical-Überflutung gesichert.

„Der Medicus – das Musical“ läuft noch bis zum 25. November 2018 im Deutschen Theater.

Kritik: Ludwig Stadler

Herzlichen Dank an Petra Schönberger von Events For You für die Bereitstellung einiger Bilder!