The Reason They Hate Me – Daughters im Backstage (Konzertbericht)

Voll ist es heute, am 8. April, auf und vor dem Backstage-Gelände. Sehr viele junge (weibliche) Menschen sind gekommen, sich von Dean Lewis etwas vorträllern zu lassen, ebenfalls viele, um mit Henning Wehland einen zu heben, und gar nicht mal so wenige, um sich von Alexis Marshall, dem Frontmann der berüchtigten Noise Rock-Band Daughters anschreien, anspucken, angreifen zu lassen.

Quelle: https://f4.bcbits.com/img/0012421502_10.jpgAls Opening-Act fungieren Arto aus Bologna. Durchaus hirnrissig wirkt es zunächst, auf der Mini-Bühne des Backstage Club zwei Drumkits hintereinander aufzubauen, doch für Arto ist das nicht weiter schlimm, verzichtet das Quartett doch auf einen Sänger. Nach kurzer Aufwärmphase überraschen die Italiener aufs Positivste und relativieren alle lauwarmen Erwartungen bezüglich ihres Auftritts als noch verhältnismäßig junge Instrumentalband. Eingerahmt von flirrenden, hochtönenden Gitarrenwänden kommt Bass und Schlagzeug eine herausgehobene Stellung zu. Arto sind technisch, aber vital, atmosphärisch, aber nie dröge. Dementsprechend viel Applaus bekommt die Truppe nach ihrem halbstündigen Set, das, angesichts von Daughters‘ knapper, aber ob ihrer Intensität in dieser Knappheit sehr gerechtfertigten Show, ruhig noch ein zwei Stücke mehr hätte umfassen können.

DAUGHTERS - Live 2019

Um 21 Uhr betritt die sechsköpfige Daughters-Crew (noch!) adrett gekleidet die Bühne. Die Musiker nehmen im Halbkreis, an die Seitenwände gedrängt Aufstellung, mittig positioniert sich Sänger Lex Marshall. Wie unter Strom fuchtelt er mit dem Mikrophon, die neurotischen Stachelakkorde von „The Reason They Hate Me“ erwartend. Andere Musiker belieben das Publikum mit freundlichen Ansagen zu ermuntern, oder fordern mit verstohlenen Handgesten zum Moshen auf. Das ist Marshalls Sache nicht. Er stürzt sich auf seine Zuschauer wie auf Rahm, den es zu Butter zu schlagen gilt. Andauernd stakt er geifernd durch die Menge, am Kabel seines Mikrophons hängend wie ein Hund an der Kette. Des Mikrophons, das er sich im Laufe des Abends wiederholt bis zum Anschlag in den Rachen schieben wird, das er, es kreischend auf die Monitorboxen dreschend, arg demolieren wird, mit dessen Kabel er sich halb strangulierend wird.

DAUGHTETS01Ach ja, und die Musik war auch gut: Tatsächlich droht das exaltierte Gebaren des Sängers, auch wenn man es ihm als authentisch abnimmt, die Musik in den Hintergrund treten zu lassen. Dabei zeigen gerade Nummern wie „Satan in the Wait“ oder „Less Sex“, die in ihrer ruhigeren Natur dem Sänger weniger Anlass zur Randale geben, warum Daughters‘ letztes Album „You Won‘t Get What You Want“, 2018 nicht selten an der Spitze von Jahres-Bestenlisten auftauchte.

Alsbald ist jedoch eine gewisse Balance gefunden, da im vollen Club ordentlich Bewegung herrscht, und Marshalls Darbietung gerade vorhersehbar genug ist, um sich auf die Musik einlassen zu können. Neben Songs des neuen Albums geben Daughters auch einige Stücke aus ihrer von Brüchen und Neuanfängen geprägten Vergangenheit zum Besten, die tiefer in die extremen Gebiete des Hardcore hineindeuten, und für rasante Abwechslung sorgen, aber den kathartischen, intensiven aktuellen Stücken keine echte Konkurrenz sind.

Als würden Swans von einem Rumpelstilzchen-haften Jim Morrison geführt wirkt, das manchmal – und das will man gesehen haben. Daughters beenden ihr Set mit dem gigantischen, bis zur letzten Sekunde eindringlichen „Ocean Song“; dann ist es gut, und war es gut.

Setlist: The Reason They Hate Me / The Lords Song / Satan in the Wait / The Dead Singer / Recorded Inside a Pyramid / Our Queens (One Is Many, Many Are One) / Long Road, No Turns / Daughters Spelled Wrong / Less Sex / The Hit / The Virgin / Guest House / Daughter / Ocean Song