Irgendwo zwischen Bayern und Chile – „Bavaria“ im Residenztheater (Kritik)

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Bayern, die nach Südamerika auswandern – Goodbye Deutschland heißt das dazu passende Format im deutschen Privatfernsehen. Bereits im 20. Jahrhundert gab es diese Bestrebungen, sich in der Ferne, in einem unberührten Land, eine ganz neue Zukunft aufzubauen. Dieser Idee möchte sich das Stück Bavaria von Guillermo Calderón widmen, das am 2. März 2023 im Marstall des Residenztheaters Premiere feiert.

Der Beziehung zwischen den Motiven der deutschen Kolonist*innen und denen der chilenischen Regierung, die deutschen Siedler*innen seit dem 19. Jahrhundert viel Land und Unterstützung zukommen ließ, wolle er untersuchen, so Calderón. Ein spannendes Thema, ein Theaterabend, der Tiefgang und einen hohen Bildungsanspruch verspricht. Das Ergebnis dieser Regiearbeit spielt sich jedoch weit weg von dem ab, was ursprünglich als Ziel der Inszenierung von Autor und Regisseur Guillermo Calderón angedacht war.

© Sandra Then

Man findet sich im Marstall vor einem Bühnenbild von Sophia Sylvester Röpcke, das an ein Yogastudio oder einen Meditationsraum erinnert. Weiche Matten bedecken den gesamten Boden, ein Klavier steht inmitten von bunt bestickten Sitzsäcken und Meditationskissen. Kleine Laternen und Stehlampen sorgen für den letzten Schliff eines Einrichtungsstiles, den man ‘orientalistisch’ nennen könnte. Also zusammengewürfelt aus verschiedenen Kulturen, die für Europäer Fernweh, aber zugleich Gemütlichkeit und religiöse Sinnsuche bedeuten, unabhängig davon, wie die Religionen und Kulturen, aus denen die Gegenstände kommen, damit umgehen. Diesen Raum füllen die sechs Darsteller*innen in bunten Kleidern aus, die mit Mandala-Print und Aufschriften wie ‘Ich bin kein Meerschweinchen’ starke Assoziationen mit einem hippiemäßigen Esoterik-Background hervorrufen. Dieser Stil wird das erste Mal dadurch gebrochen, dass man sich hier im Chor nicht trifft, um gemeinsam Mantren zu chanten. Im Gegenteil: ‚Guads oids boirisches Liadguad’ wird zum Besten gegeben; das Publikum wird zum Mitsingen eingeladen und macht überraschenderweise auch mit. Bis dato noch ganz lustig, da es sich um einen starken Kontrast handelt – hier wird eine gesellschaftliche Strömung, die alternativen Biomuttis in den ländlichen Vorstadtregionen, aufs Korn genommen. Doch mit den eindeutig erkennbaren Motiven dieser Inszenierung war’s das dann auch schon. Dieser eigentümliche Chor träumt nämlich, entgegen der Ästhetik auf der Bühne, nicht etwa von einer Reise in den fernen Osten. Nein: Südamerika soll das Ziel sein.

© Sandra Then

Denn dort wäre man freier und das Land wäre rein und man müsse sich nicht impfen lassen. Zum Vergleich: Die von Calderón als Vorbild angegebene Colonia Dignidad – heute ‘Villa Baviera’ – wurde von zwei Freikirchen gegründet, nachdem Sektenführer Paul Schäfer vor der Justiz nach Südamerika flüchtet, weil ihm sexueller Missbrauch vorgeworfen wurde. Traurige Berühmtheit erlangte dieser Ort damals, weil dort systematisch Menschen unter Druck gesetzt und Kinder missbraucht wurden, zudem Folterungen für das Pinochet-Regime stattfanden. Sich diesem Stoff mit Purzelbaum schlagenden Figuren zu widmen, die im bunten Esoterikfummel über die Bühne tollen, ist bereits eine starke Entscheidung. Franka, eine der Figuren, behauptet über kurze Teile des Abends, einer solchen Foltereinrichtung entkommen zu sein; wenige Minuten später stellt sich heraus, dass sie weder aus Chile noch aus Paraguay komme, sondern aus Nürnberg. Kurz nach Beginn des Stückes platzt Eva heraus, sie habe ihren Mann umgebracht. Durch diesen Mord, der vielleicht doch nur ein Unfall war, hat Eva jetzt jedenfalls geerbt. Von diesem Erbe, das wechselnd aus einen Privatzoo oder auch drei Casinos besteht, soll der ganze Spaß bezahlt werden. Bei ‚diesem Spaß‘ handelt es sich mal um die Gründung einer neuen Villa Baviera oder aber um den Aufbau einer Hippiekommune in Bayern, worum genau jedoch, darüber sind sich die Figuren uneinig. Verwirrend? Genau so ist der Abend von knapp zwei Stunden, bei dem sich nicht nur die Figuren fragen, was sie hier eigentlich machen.

© Sandra Then

Von der politischen Brisanz und historischen Relevanz, davon bekommt die Inszenierung an diesem Abend nicht viel transportiert. Es geht nicht um die historischen Machtverhältnisse deutscher Einwanderer in Südamerika, kaum um den Spagat zwischen Kulturen. Es geht um ganz viel und um nichts so richtig. Ästhetisch hat der Abend durch Bühnenbild und Kostüm großes Potential; auch die in den letzten sieben Minuten auftauchenden riesigen Krokodile machen visuell wirklich viel her. Inhaltlich entsteht aber wirklich gar kein Zusammenhang. Es ist, als hätte man nach einem sehr offenen assoziativen Probenprozess zu den Themen esoterische Sekten, bayrischer Chor, Auswanderung nach Südamerika, den Geschichten von Chile und Paraguay und Krimi zu Erbmord einfach alles zusammen geworfen und geschaut, was dabei raus kommt.

Weitere Termine: 13./21./30. März, 3./24. April, Karten HIER!

Weiterführende Informationen zur deutschen Auswanderungsgeschichte nach Südamerika finden sich HIER in einem Deutschlandfunk-Beitrag.