A scheene Leich – Gerhard Polt & die Well-Brüder in den Kammerspielen (Kritik)

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Wenn nicht nur der Oberbürgermeister persönlich, sondern auch alle Gründungsmitglieder der Toten Hosen auf der gleichen Theaterpremiere zugegen sind, weiß man, dass da wohl etwas Besonderes stattfinden muss. „A scheene Leich“ ist nämlich nicht nur irgendeine Uraufführung mit bayerischem Titel, es ist eine Neuproduktion von Gerhard Polt und den Well-Brüdern aus dem Biermoos. Unbekannte sind sie an den Münchner Kammerspielen sowieso nicht, immer wieder kehren sie für Gastspiele zurück, ob gemeinsam, solo oder eben auch im Trio mit Die Toten Hosen. Die letzte Stückentwicklung – „Ekzem Homo“ – ist allerdings doch bereits acht Jahre her, nun feiert ein neuer Abend am 28. Januar 2023 Premiere. Die Premiere als auch alle Folgevorstellungen: ausverkauft.

© Maurice Korbel

Mit Halbglatze stolziert Gerhard Polt zum Epilog auf die Bühne und erzählt in der Rolle als Pius Brenner vom Aufbau seines Bestattungs- und Seniorenresidenzimperiums. Genau dieser ist es dann, der stirbt – und so richtig traurig darüber scheint niemand. Reich war er, auch geizig, aber vor allem auch nicht allzu koscher mit seinen Unternehmermethoden. Egal, die Beerdigung muss organisiert werden. Das bildet den roten Faden und Rahmen für ein Feuerwerk an Szenen und Episoden, wie man sie kennt und gewohnt ist – neu komponierte und satirisch-bissige Lieder der Well-Brüder, kabarettistische Kurz-Soli von Polt oder Monologe der beiden Darsteller*innen aus dem Kammer-Ensemble, Maren Solty und Stefan Merki, ergänzt durch ein Laienchor und -orchester. Doch auch sketchartige Momente finden ihren Weg in den Abend, wenn beispielsweise das Geschäftsgebaren des Bestattungsunternehmens beleuchtet wird oder eine (nicht ganz so zündende) Gerichtsanhörung folgt. Dabei, und gerade das ist die Kunst an so einem Abend, gelingt es Ruedi Häusermann und Dramaturgin Viola Hasselberg, den Abend wie aus einem Guss wirken zu lassen. Unzählige, kleine kreative Einfälle regnen dem Publikum entgegen, das amüsiert lacht, aber schon bemerkt, dass man diesen Abend problemlos weitere Male sehen kann, um überhaupt erst alles aufzufangen.

In erster Linie ist „A scheene Leich“ aber erst einmal eines: äußerst humorvoll. Damit ist noch gar nicht einmal leichte oder belanglose Kost gemeint, aber der bitterböse und tiefschwarze Humor, der bei Polt und den Well-Brüdern schon immer mitschwingt, zeigt hier Hochkonjunktur und schießt aus allen Rohren. Überraschend wenig Pointen verfehlen ihr Ziel, fast jeder Satz sitzt und kommt, sei er auch noch so damisch wirkend, bedeutungsvoll daher. Im Gegensatz zum Vorgängerwerk rücken aber dieses Mal die Well-Brüder deutlich mehr ins Rampenlicht, was auch an ihren erfreulich messerscharfen Kompositionen und Texte liegt – ihr „Carpe Diem“-Lied oder gar das Hip-Hop-lastige „Umsonst ist nur der Tod, und der kostet’s Lem“ begeistern ab dem ersten Ton und sorgen dafür, dass die Musik nicht nur Beiwerk, sondern absolut gleichberechtigt zu den restlichen Elementen funktioniert. Bühne und Kostüm lenken hierbei kaum ab von der Wortakrobatik – allerlei herumschiebbare Leinwände mit Doppelbedruckung lassen sich schnell in verschiedene Bilder umwandeln, kehren aber auch immer in die Ausgangslage des Wirtshauses zurück. Klassisch, clever und völlig ausreichend. Der Fokus liegt woanders.

© Maurice Korbel

Dass es am Ende nun nicht ein Mix aus inszeniertem Kabarettabend mit Musik wird, womöglich auch zu sehr der leichten Rahmenhandlung nachgibt und ins Bauerntheater rutscht, dafür sorgt ebenso die deutlich mitschwingende Sozialkritik in jeder Szene und jeder Episode – Fachkräftemangel, Grenzen der freien Marktwirtschaft, Ausnutzen des Kapitalismus. Auch die zwischenmenschliche Komponente kommt immer hervor, denn bei den Charakteren auf der Bühne ist klar: niemand sorgt sich über das Wohl des anderen. So kommt es, wie es kommen muss: der Pfarrer sitzt allein am Leichenschmaus. „A scheene Leich“, eine griabige Runde von Freunden und Bekannten, die aufs Leben anstoßen, das ist was anderes. Davon erzählen die Wells dafür ausführlich, wie so ein Bestattungsbesäufnis aussieht. „Schod, dass er ned öfters sterben ko“.

Rund zwei Stunden am Stück geht dieser turbulente und äußerst abwechslungsreiche Abend im Schauspielhaus der Kammerspiele. Kurz bevor sich doch erste Längen hätten einschleichen können, sorgt Brenners Beerdigung für einen wahren Humorsturm. Polts Version einer christlichen Bestattung dürfte das lustige sein, was seit langem auf einer Münchner Theaterbühne zu sehen war, allein diese Szene ist den Besuch mehr als wert. Der Kampf um die Karten dürfte im nächsten halben Jahr wohl noch eine Herausforderung werden – und zu verdenken ist es niemanden, denn dieser Abend lohnt sich in jedem Ton, in jedem Wort. Außerdem: Wer weiß, wie viele neue Programme es von dieser Urgesteinskombination an bayerischem Humor, Gerhard Polt & die Well-Brüder, noch geben wird? Chapeau!

Kritik: Ludwig Stadler