Am Freitag, dem 29.10.2021, feierte das Stück „4.48 Psychose“ der britischen Dramatikerin Sarah Kane unter der Regie von Jochen Schölch im Metropoltheater Premiere. Eine richtige Zusammenfassung zum Inhalt dieses quasi als Abschiedsbrief erdachten Stückes zu geben ist schwierig, muss es doch als genau dieses wahrgenommen werden – nahm sich doch die Autorin nach der Fertigstellung des Leben.
4:48: Das ist die titelgebende Zeit, in welcher das von Wahnsinn und Depressionen geschüttelte Ich morgens erwacht und eine Stunde der Klarheit hat, bevor es sich zurück in seine Wahnvorstellungen steigert. Es ist eine Morgenstunde, in der es halbwegs es selbst ist, und sich über seine Situation gewahr werden kann. Nach einem Selbstmordversuch ins Krankenhaus eingeliefert und hier immer wieder falsch behandelt, versucht die Protagonist*in mit sich selbst und ihrer Situation klar zu kommen, was jedoch immer schwieriger wird; sie hat sich in ihren behandelnden Arzt verliebt, doch dieser kann diese Liebe nicht erwidern. Geplagt von ihren eigenen Gedanken, von ihrer Hoffnungslosigkeit und den Nebenwirkungen der Medikamente nimmt sie sich schließlich mit eben diesen das Leben.
Dem Metropoltheater gelingt es, diese sehr persönliche Darstellung Kanes von Depression bedrückend gut darzustellen. Dies beginnt schon bei dem Bühnenbild: der Hauptteil ist eine runde, halb spiegelnde und halb durchsichtige Wand, welche sich um die gesamte Bühne erstreckt. Die Zuschauer sitzen dabei auf beiden Seiten der Bühne, sehen die jeweils andere Seite mit den anderen Zuschauern aber nicht, sondern nur die Spiegelbilder der Protagonistin (Judith Toth). Dadurch entsteht ein beeindruckender Effekt, der an eine Gummizelle erinnert, hat sie meistens nur sich und ihre Spiegelbilder. Sie kann diesem einschließenden Raum, sowohl in echt als auch in ihrem Kopf, nicht entfliehen. Die einzigen Requisiten, die zum Einsatz kommen, sind eine kleine Puppe, eine Art Schale und eine blonde Perücke; die Protagonistin selbst hat sich den Kopf kahl geschoren und trägt meist nur ein Kittel und eine weiße Mütze. Diese Beengtheit, diese Einsamkeit, nimmt der Zuschauer ohne Kompromisse wahr; dies ist auch dem beeindruckenden Spiel von Toth zu verdanken, welcher es gelingt, die Verzweiflung und den Wahnsinn, in welcher sie die Figur dreht, scheinbar problemlos darzustellen. Sie springt hin und her zwischen manischen Phasen, in welcher sie ihrer Situation mit beißendem Galgenhumor begegnete, und depressiven Phasen, bis hin zu solchen, in denen sie einfach nur Zahlen runterzählt. Begleitet wird die Schauspielerin dabei von Thomas Meinhardt, welcher manchmal als ihr Spiegelbild, manchmal auch als ihr behandelnder Arzt auftritt. Seine Leistung ist ebenso zu beachten, schon fast stellt er ihren rationalen Gegenpart da, wobei man nie sicher sein kann, welche der Gespräche oder Passagen sich nur in ihrem Kopf abspielen; Meinhardt gelingt es dabei, den Zuschauer durch seine eindringliche Gelassenheit ebenso in den Bann zu ziehen wie durch seine theatralischen Auftritte als die andere Seite der Protagonistin.
Hier soll auch die Bühnentechnik und das Licht von Hans-Peter Boden gelobt werden. Das Licht ist meist nur diffus; nur in Zeiten der Klarheit, also morgens, und bei Gesprächen mit ihrem Arzt wird es heller. Der entstehenden Effekt ist beeindruckend, und erlaubt es dem Zuschauer noch mehr, mitzufühlen und mitzuleiden. Man sehnt sich grade zu nach diesen hellen Momenten, in denen einen etwas der Druck genommen wird. Auch die Soundtechnik trägt sehr zur allgemeinen Stimmung bei; so weiß man oft nicht, ob grade gesprochen oder nur etwas gesprochenes über die Lautsprecher abgespielt wird; fast schon kann der Zuschauer die Kopfstimme wahrnehmen, die die Realität für die Protagonistin verschwimmen lässt.
Trotz allem gibt es auch einige Kritikpunkte. Nicht immer gelingt es der Inszenierung, zu zeigen, was gemeint ist; wenn zum Beispiel bunte Köpfe von der Decke herabgeschwebt kommen oder sich Meinhardt minutenlang halbnackt präsentiert. Hier wäre weniger vielleicht manchmal mehr gewesen; dennoch tut es dem Stück keinen großen Abbruch.
Insgesamt kann man durchaus sagen, dass dem Metropoltheater mit „4.48 Psychose“ durchaus etwas Atarkes gelungen ist, dass man so schnell nicht vergisst. Immer eindringlich, manchmal lustig, oft überraschend. Sarah Kane wird mit dieser Inszenierung sicher Respekt gezollt.