Während am Hauptbahnhof ein Weihnachtschor fromme Hallelujas in den Äther jauchzt, geht es ein paar Ecken weiter weniger besinnlich zu: Die Backstage Halle füllt sich an diesem 12. Dezember langsam mit einem mehr oder weniger stereotypen Publikum. Schwere Stiefel, lange Haare und alle Farben des Regenbogens: Schwarz, schwarz und schwarz. Wenn ein wahrhaftes Urgestein des norwegischen Black Metal mit Gaahls WYRD vorbeischaut, muss man sich schließlich in Schale werfen, oder?
Großen Wert auf ein kvltes Äußeres legen Auðn in ihren schwarzen Sakkos nicht, dafür punkten sie mit einem großen Haufen anderer Qualitäten: Hervorragender Live-Sound und mitreißende Performance, was nicht zuletzt dem ungemein starken Auftreten von Sänger Hjalti geschuldet ist, der seine astreinen Screams/Growls so deutlich und emotional artikuliert, dass die Macht der gesamten Band in ihnen zusammenzufließen scheint. Nach einer guten halben Stunde werden die Isländer mit durchaus begeisterten Zugabe-Rufen entlassen.
Eine Ehre, die The Great Old Ones nicht zuteil werden wird, auch wenn sich die mit Kapuzen und fetten Amuletten behängte Truppe durchaus eines starken Auftritts rühmen darf. Ihr wogender Atmospheric Black Metal, der in soundtechnisch etwas schlammigeren Gewässern unterwegs ist als jener Auðns, stößt sicher niemandem in der mäßig bis gut gefüllten Halle sauer auf, vielleicht wird langsam die Vorfreude auf den großen Zampano des Abends einfach zu groß, um sich völlig auf die Franzosen einlassen zu können.
Zunächst ist es nur dessen Band, die die Bühne betritt und unterm Corpsepaint grimmig in die reichlich unbeeindruckte Zuschauerschar starrt. Eine leise Sorge keimt auf: Sollte es sich bei Gaahls WYRD letztlich um eine Kapelle wie jede andere, schlimmer, einen kommerziellen Budenzauber handeln? Doch plötzlich ist er da, in der unvermeidlichen Lederjacke, die anscheinend mit dem selben Mittel gegen äußerlichen Verfall imprägniert ist wie ihr Träger. Noch während des monoton-meditativen Openers „Steg“ (Trelldom) verflüchtigen sich alle Zweifel. Dabei macht Gaahl nichts anderes, als bewegungslos dazustehen und den Text in einer Art Sprechgesang zu interpretieren. Im Verlauf der nächsten ca. 100 Minuten wird er aber noch eindrucksvoll beweisen, dass seine Stimme so wandelbar ist wie die Erscheinungsformen des Gehörnten, von Klargesang über derbes Raspeln bis hin zu unmenschlichen Shrieks, die schon beim Zuhören Halsschmerzen verursachen. Dennoch: Die Bühne überlässt er oft seiner Band (allen voran Bassist Eld, der sich in seiner exaltierten Grimness sichtlich pudelwohl zwischen seinen gitarrisierenden Kollegen fühlt), marschiert hinter den Saitenschindern gemessenen Schrittes von einer Bühnenseite zur anderen. Ja, Gaahl schüttelt auch Hände, schafft es aber, dabei weniger wie ein freundlicher, dankbarer Szenestar auszusehen als vielmehr wie Gott, der Adam auf dem Gemälde in der Sixtinischen Kapelle den Lebensfunken überträgt.
Letztlich ist es einfach Gaahl being Gaahl: Inwieweit sich der Mann seine Bühnenpräsenz antrainiert hat, kann man natürlich kaum feststellen, fest steht aber, dass er sie hat, dass er sich nicht in den Vordergrund stellen muss, um der natürliche Mittelpunkt des Geschehens zu sein, dass er (auch nicht den ins Gegenteil verkehrten) Gestus des Entertainers braucht, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu fangen. Und die Persona Gaahl ist es auch, die die doch divergierenden schwarzmetallischen Ausprägungen in der Setlist zusammenhält: Ob es sich nun um Gorgorothischen (wenn auch nicht ganz astreinen) Second-wave-Black Metal, um die tribal-hafte Aggressivität von God Seed oder die atmosphärische Primitivität von Trelldom handelt: in der Wyrd‘schen Revue kommt alles sinnvoll zusammen.
Und die Tatsache, dass nach dem umfassenden Set, an dessen Ende Gaahl sich sichtlich anstrengen muss, die Kraft in seiner Stimme aufrecht zu erhalten, niemand nach einer Zugabe verlangt, ist wohl eher Sättigung als Unzufriedenheit zuzuschreiben.
Setlist: Steg (Trelldom) / Til Minne… (Trelldom) / Slave til en kommende natt (Trelldom) / Sign of an Open Eye (Gorgoroth) / Awake (God Seed) / Aldrande Tre (God Seed) / Høyt opp i dypet (Trelldom) / Carving a Giant (Gorgoroth) / From the Running of Blood (God Seed) / Lit (God Seed) / Alt Liv (God Seed) / This From the Past (God Seed) / Incipit Satan (Gorgoroth) / Exit – Through Carved Stones (Gorgoroth) / Wound Upon Wound (Gorgoroth) / Prosperity and Beauty (Gorgoroth)
Fazit: Gaahl beweist mit einem Rundumschlag, dass er es weder anstrebt noch nötig hat, zum alten Eisen, das man mal gesehen haben muss, gezählt zu werden. Abgesehen von der faszinierenden Figur, liefern er, seine Band und die Support-Acts hochklassige Darbietungen, die keinerlei klischeehafte Gimmicks brauchen, um zu überzeugen.
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