Alles macht Sinn – NESS im Milla (Bericht)

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Von der österreichischen Castingshow „Starmania“ bekommt man hier in Deutschland wenig mit, daher war die Sängerin NESS, die in der 2021er-Auflage der Sendung eine der Finalistinnen gewesen ist, noch ein unbeschriebenes Blatt, als sie vor rund zwei Jahren ihre erste Single „Deine Richtung“ veröffentlichte. Geändert hat sich das schnell, ihre konstant großartigen Lieder haben nicht nur auf den sozialen Netzwerken für reichlich Aufsehen gesorgt, sondern sich auch in die Gehörgänge geschlichen. Wenig verwunderlich also, dass die erste Solo-Tour der Musikerin restlos ausverkauft ist – einschließlich ihres Auftritts am 3. Dezember 2023 in der Milla.

Unerwähnt dürfen die Schneemassen nicht bleiben, die den annähernd gesamten Verkehr nach München und auch größtenteils innerhalb der Stadt lahmlegen. So wird es doch nie komplett überfüllt und ist erst höchstens halbvoll, als um 20 Uhr Julia Steen den Abend eröffnet. NESS und sie haben sich bei „Starmania“ kennengelernt, der Kontakt blieb und wurde zu einer Freundschaft. Steen beginnt gerade ihre Solo-Karriere, ihre erste Single „Hauptgewinn“ startet auch ihr 25-minütiges Set, bei dem sie gemeinsam mit ihrem DJ Thomas sogleich gesanglich in die Vollen geht. Besonders in den Höhen weiß sie absolut zu überzeugen und bringt das dankbare Publikum zu lautem Jubel. Ihre eigenen Songs decken die gesamte musikalische Bandbreite des Pop ab, mit dem Sarah Connor-Cover „Augen auf“ beweist sie zudem souliges Balladengefühl. Ein starker Einstand!

NESS hat zwar bereits ein paar Support-Auftritte für Luna gespielt, aber das aktive Tourleben beginnt für sie erst jetzt aktiv. In München spielt sie ihre zweite Headliner-Show jemals und startet sichtlich aufgeregt mit „Schlechte Tage“ und dem Uptempo-Song „Ist mir egal“. Etwas schüchtern und entwaffnend sympathisch präsentiert sich die 18-jährige Österreicherin, die in ihren Ansagen genauso authentisch wie in ihren ehrlichen Songtexten rüberkommt und vor Adrenalin-Ausschüttung auch gern einfach mal ins Mikrofon kichert. Sehr aufgeregt sei sie immer vor Auftritten, erzählt sie, vor einem Jahr hätte sie so einen Auftritt vor Nervosität auch niemals geschafft. Nun stehe sie aber hier, ist etwas überrannt von den Emotionen, aber die positiven Gefühle überwiegen deutlich, was man ihrem Dauergrinsen immer wieder ansehen kann.

Doch NESS wäre nicht auf der Bühne, wo sie steht, wenn sie nicht mit einigen Talenten ausgestattet wäre: einer starken Signature-Stimme, einem Songwriting, das gerade im jungen Alter von 18 Jahren seinesgleichen sucht, und Texte, die sich mit harter Kost schonungslos auseinandersetzen, aber dabei immer poetisch bleiben. Trotz ihres Alters hat Vanessa Dulhofer, wie sie bürgerlich heißt, schon eine lange Historie an Erfahrungen mit mentaler Gesundheit hinter sich, von Depressionen bis Panikattacken. Einiges an Material, das verarbeitet werden muss, dafür bietet sich die Musik an – und angereichert mit dem Können vom Schreiben überragender Melodien entstehen Songs wie „Schattenfreunde“ oder das bereits vorab gespielte „Stille zu laut“, was beim reinen Hören schlichtweg überwältigt. Inmitten von oft substanzloser TikTok-Musik sticht NESS so deutlich wie nur irgendwie möglich hervor – und verkauft wohl auch genau deshalb ihre Konzerte aus.

Gemeinsam mit einem Schlagzeuger und einem Multi-Instrumentalisten an Keyboard und Gitarre singt sie sich durch insgesamt 17 Songs, bevor sie kurz verschwindet, um für zwei ihrer größten Hits noch einmal zurückzukommen: „Deine Liebe“ und, natürlich, „Deine Richtung“. 70 Minuten Vollgas, mit weniger euphorischen Gute-Laune-Songs, aber gut, dafür besucht wohl auch niemand ihr Konzert. Hier geht es um Emotion, Greifbarkeit, ehrliche Geschichten von einer so angenehm unverstellten Künstlerin, die bereits jetzt so viel weiter als unzählige jahrelang etablierte Acts im Showgeschäft ist. „Wir sollten uns nicht verstellen, um in irgendein Bild reinzupassen, das ist scheiße unnötig“, sagt sie vor dem Song „Barbie“. Dass sie sich selbst treu bleiben wird, dürfte klar sein – und bis zu ihrem nächsten Auftritt werden sicher viele neue eindrucksvolle Songs dazugekommen sein. Der steht übrigens schon: Am 22. Oktober 2024 in der Backstage Halle!

Setlist: Schlechte Tage / Ist mir egal / Isso / Tinkerbell / Schuhe / Alles macht Sinn / Du oder ich / Barbie / Freier Fall / Blutbahn / Stille zu laut / Love Yourself (Justin Bieber cover) / Betrunken / Heimweg / Ich weiß du vergisst mich / Schattenfreunde / Lieber kein ProblemZugaben: Deine Liebe / Deine Richtung

Bericht: Ludwig Stadler

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