Style It Takes – John Cale in der Muffathalle (Bericht)

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Eine Urgestalt der (rock-)musikalischen Avantgarde gastierte am 5. März in der Muffathalle: John Cale.
Das dem ausverkauften Event zuströmende, sich auf den nummerierten Stühlen verteilende, den pünktlichen Beginn des Vorband-freien Konzerts erwartende Publikum ist vorwiegend gehobenen Alters und ebensolcher Stimmung: Geschichten werden ausgetauscht, wo, wann, mit wem man den Cale schon gesehen habe. Doch was ist vom gegenwärtig anstehenden Cale zu erwarten? Der Abgesang eines großen Freigeistes auf die Kultur, die er mitgestaltete, welcher er die Möglichkeit der Entfaltung seiner kreativen Impulse verdankt, und die mehr und mehr dem Konformitätszwang des konsumorientierten Verwertungsgetriebes zum Opfer fällt? Den Schwanengesang eines Überachtzigjährigen, der dem Ende seines Schaffens entgegenblickt?

Es zeigt sich bald, dass der wirklich erscheinende John Cale für solche Zuspitzungen ebenso unverfügbar ist wie seine Musik für alle stilistischen und methodischen Vorformulierungen und -formungen. Sein Alter sieht man dem Waliser nur an, als er die Bühne betritt; sobald er hinter seinem großen Keyboard Stellung bezogen hat, wirkt er verjüngt, beeindruckt er beständig mit der Klarheit und Nachdrücklichkeit seines Gesangs, die auch im Laufe des Abends nicht nachlassen. Begleitet wird Cale von einem Trio in klassischer Rockband-Besetzung: in seinem Rücken spielen Dustin Boyer E-Gitarre, Joey Maramba Bass und Alex Thomas Schlagzeug. Sie tun das, ebenso wie Cale selbst, engagiert, konzentriert, ohne jegliches Show-Gebaren. Der Sound ist bestimmt von Cales jüngstem Album »Mercy«, welches im Januar diesen Jahres erschienen ist; es ist das erste Studio-Werk des Velvet-Underground-Mitbegründers seit mehr als zehn Jahren. So sind auch live weich dröhnende Synthesizer-Klänge markant vertreten. Doch während das Album eher kühl und distanziert klingt, sind die Live-Interpretationen von Cale und Band organischer, offener, lebendiger.

© Madeleine McManus

Den Klassiker »Style It Takes« von »Songs for Drella« (mit Lou Reed) performt Cale weitgehend solo als im Offenen, melodisch kaum Fixierten schwebendes Nachsinnen: dem Förderer und Mentor Cales und Reeds, Andy Warhol. Auf die Hommage an Warhol folgt eine an eine andere künstlerische Wegbegleiterin Cales: »Moonstruck (Nico’s Song)« wird überragt von einem wabernden Abbild der Sängerin auf der Videowand im Rücken der Musiker. Zum Glück stellen die Visualisierungen, mit denen Cale seine Stücke begleitet sein lässt, die Musik und ihre Macher nicht in den Schatten. Zumeist handelt es sich um statische, repetitive Clips, durchsetzt von farbigem Rauschen, in einem wörtlichen oder assoziativen oder offenen Verhältnis zum jeweiligen Song stehend. Verstörende Bilder des Hungers begleiten einen musikalischen Höhepunkt des Abends: die eindringliche, ausgedehnte, die Studioversion weit hinter sich lassende Interpretation von »Wasteland«. Cales Bühnenpräsenz, zeigt sich, bleibt seiner Musik immanent, jegliches Raunen über die lebens- und zeitgeschichtliche Bedeutung des momentan Dargebotenen prallt von seiner ernsthaft-versunkenen Erscheinung ab; der Musiker Cale tritt auf der Bühne ebenso wie der Lyriker Cale in seinen Texten als individuell besonnen-betroffener Künstler auf, dessen Integrität sich unmittelbar ausweist.

Nachdem Cale für »Cable Hogue« vorübergehend an die Gitarre gewechselt ist, folgen zwei radikal neu vertonte Stücke vom Album »Paris 1919«: »Half Past France« (Cale beschwörend, mehr sprechend als singend, Gefühle der Desorientiertheit vor einem konturlosen, vom gestrichenen Bass vibrierenden Hintergrund verbreitend) und »Hanky Panky Nohow«, in dessen schlichte Schönheit unerwartet Samples von Soprangesang eingeflochten sind und das einen der ergreifendsten Momente des Abends darstellt. Nach »Villa Albani« gibt es als Zugabe noch den Velvet-Underground-Klassiker »I’m Waiting for the Man«. Bevor die Band endgültig abgeht, ergreift Cale zum ersten und einzigen Mal das Mikrophon, um sich an sein Publikum zu wenden: Bedankt sich herzlich und verabschiedet sich – auf »next time«.

Setlist: Jumbo in tha Modernworld / The Endless Plain of Fortune / Night Crawling / Style it Takes / Moonstruck (Nico’s Song) / Rosegarden Funeral of Sores / Mercy / Ghost Story / Out Your Window / Wasteland / Cable Hogue / Half Past France / Hanky Panky Nohow / Villa Albani // Zugabe: I’m Waiting for the Man