Ach, wir armen Primadonnen – Edita Gruberova im Herkulessaal (Kritik)

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72 Jahre Stimmgewalt, über 50 Jahre Bühnenkarriere: Edita Gruberova, die „primadonna assoluta“, hat über die letzten Jahrzehnte fast jede Rolle des Belcanto gespielt, seien es die bekannten Klassiker wie die Lucia Ashton in „Lucia di Lammermoor“ oder große Partien in unbekannten Werken von Bellini, die die Opernhäuser dieser Welt extra für sie in den Spielplan aufnahmen. Am 27. März 2019 hat sie nun ihre Opernkarriere beendet, standesgemäß mit „Roberto Devereux“ an der Bayerischen Staatsoper, bis zuletzt ihre Paraderolle. Aber ein Abschied von der Opernbühne ist noch kein finaler von der Konzertbühne, wie sie auch von Anfang an zu verstehen gibt – und so fand am 7. April 2019 im Herkulessaal, direkt neben der Staatsoper, ihr erstes Konzert nach Karriereende statt. Der Saal ist gut besetzt, das Publikum erwartungsvoll.

© Wilfried Hösl – 3.7.18 in der Staatsoper

Pünktlich um 20 Uhr verdunkelt sich das Licht und Edita Gruberova betritt gemeinsam mit Pianist Peter Valentovic die Bühne. Auf dem Programm steht ein Arienabend mit Liedeinschüben und Walzern – ein bunter Abend in „kleiner“ Bühnenversion mit Piano, was sich als großartige Wahl für den Herkulessaal herausstellen soll. Insbesondere der erste Teil des Konzerts konzentriert sich noch auf die ruhigen, entspannteren Werke – insbesondere auf fünf Lieder von Richard Strauss, die eine angenehme Abwechslung in den Abend bringen. „Frühlingsstimmen“ von Johann Strauß Sohn zieht die Geschwindigkeit dann doch wieder wesentlich an und lässt Gruberova das erste Mal vollends glänzen – die Primadonna ist bestens bei Stimme, was sie bestens beweist.

In der Pause setzt bei manchem Konzertbesucher schon der Zweifel an, betrachtet man das folgende Programm: „Una voce poco fa“ aus „Il barbiere di Siviglia“, Bellinis „Sono all’ara“ und abschließend gar noch die Wahnsinnsarie der Ophelia? Mit 72 Jahren? Ein gewagtes Unterfangen, selbst für eine Belcanto-Legende wie Edita Gruberova. Zwar hat sie zuletzt noch die Lucia mit all ihren hohen Koloraturen gespielt, aber die Kritiker häufen sich: der Gesang sei zu schrill, sie schaffe die ganz hohen Töne nicht mehr, der Zenit sei längst überschritten. Spätestens nach dem Arien-Trio im zweiten Akt wird deutlich, dass die Kritik vollkommen unbegründet ist.

© Wilfried Hösl – 3.7.18 in der Staatsoper

Während es Pianist Valentovic vor allem in seinen knapp zehnminütigen Improvisationen nach Werken von Sergei Rachmaninow zu kurzzeitigen Jubelstürmen und dabei das Klavier bis an die Grenzen des Klangvolumens bringt, erreicht Gruberova ihren Höhepunkt tatsächlich in der schwierigen Wahnsinnsarie aus „Hamlet“. Sie lässt sich Zeit, interpretiert die ruhigen Stellen gelassen und lässt sich zu keiner Sekunde von den anbahnenden Höhenflügen verunsichern. In den prägnanten Momenten, vor allem im Finale, gelingen ihr scheinbar problem-, aber sichtlich nicht mühelos die abschließenden Klänge – es folgt langer Applaus und sehr bald stehende Ovationen. Ein paar Blumensträuße werden ihr an die Bühne gebraucht, einer davon von einem kleinen Jungen, der Veranstalter MünchenMusik bedankt sich ebenso mit zwei Blumensträußen. Der Herr, der zuletzt bei „Roberto Devereux“ einen Blumenstrauß mit einem Seil von der Loge herunterließ, wie wir berichteten, ist ebenfalls am Balkon zugegen. Als Gruberova ihn entdeckt, muss sie doch kurz lachen – so eine Situation bleibt im Kopf bestehen.

Ganze vier Zugaben, davon eine sichtlich ungeplant, aber ob des langanhaltenden Applauses spontan hinzugefügt. Wie auch beim Gala-Konzert im Juli 2018 in der Staatsoper, wie wir berichteten, stehen die letzten Werke im lustigen Rahmen – Gruberova packt einige Operetten-Klassiker aus, darunter auch wieder ihr geliebtes „Mein Herr Marquis“ aus „Die Fledermaus“. Knapp 40 Minuten zieht sich der Zugaben-Block, genauso lange wie eine reguläre Konzerthälfte. So begeistert die slowakische Sopranistin knappe zwei Stunden reine Konzertzeit ihr Publikum und zeigt ihren (YouTube-)Kritikern deutlich, dass ihre Stimme noch lange nicht am Ende ist. Ihre Karriere auf der Opernbühne mag zu Ende sein, doch ihre weitere Karriere auf der Konzertbühne steht noch unter einem strahlenden Stern.

Kritik: Ludwig Stadler

Programm:

  • „E pur così in un giorno – Piangerò la sorte mia“ – Rezitativ und Arie der Cleopatra aus dem 3. Akt von „Giulio Cesare in Egitto“ (Händel)
  • Lieder: Waldseligkeit op. 49/1, Allerseelen op. 10/8, Ständchen op. 17/2, In goldener Fülle op. 49/2, Zueignung op. 10/1 (Strauss)
  • „Frühlingsstimmen“ – Walzer op. 410 (Strauß Sohn)

– PAUSE –

  • „Una voce poco fa“ – Kavatine der Rosina aus dem 1. Akt von „Il barbiere di Siviglia“ (Rossini)
  • „Sono all’ara“ – Szene und Arie der Alaide aus dem 2. Akt von „La Straniera“ (Bellini)
  • Improvisationen über Themen aus dem Klavierkonzert Nr. 2 op. 18 und der Rhapsodie über ein Thema von Paganini, bearbeitet von Peter Valentovic, für Klavier (Rachmaninow)
  • „A vos jeux, mes amis“ – Wahnsinnsarie der Ophelia aus dem 4. Akt von „Hamlet“ (Thomas)

– Zugaben –

  • „O luce di quest‘ anima“ – Arie der Linda aus dem 1. Akt von „Linda di Chamounix“ (Donizetti)
  • „Ach, wir armen Primadonnen“ – Lied der Harriet von „Der arme Jonathan“ (Millöcker)
  • „Mein Herr Marquis“ – aus dem 2. Akt von „Die Fledermaus“ ( Strauss)
  • „Spiel‘ ich die Unschuld vom Lande“ – aus dem 3. Akt von „Die Fledermaus“ ( Strauss)