„Zum Aufhören sind wir doch zu alt“ – Die Amigos im Circus Krone (Konzertbericht)

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Ein Kommentar von Ludwig Stadler

In den letzten Monaten habe ich von Chilly Gonzales, Disturbed, Ed Sheeran bis Herbert Grönemeyer eigentlich alles gesehen, selbst im Circus Krone war ich zuletzt bei Bonnie Tyler und Amy Macdonald, allesamt wunderbare Konzerte, die mehr als ihre Berechtigung verdient haben. Nun stehe ich wieder vor dem Circus Krone Bau, etwas mulmig im Gefühl, um mir das vielleicht größte Verbrechen an Musik aller Zeiten anzusehen: Die Amigos. Das musikalische Grauen in persona, die Speerspitze der tiefsten Unterhaltung, allgemein die Personifikation des Mutantenstadls – aber trifft das alles auch zu? Wer A sagt, muss auch B sagen, denke ich mir – im übertragenen Sinne: wer zu Bad Religion, Black Eyed Peas und Beyond The Black geht, kann auch zu den Amigos. Ich wage den Selbstversuch und denke mir beim Betreten eigentlich schon, was das für eine Scheißidee war. Aber gut – there’s no way back!

Jürgen und ich!

Donnerstag, 16. Mai 2019 – und als ich im Zuschauerraum angekommen bin, riecht es erschreckend nach Seniorenheim. Später wird die Lüftung angeschmissen, wodurch der Geruch verfliegt, dafür ist es dann eiskalt. Dass ich den Schnitt bequem 20 Jahre senke, war zu erwarten; dass sich allerdings wirklich keine einzige Enkelin und kein einziger Enkel erbarmt hat und mit der Omili die Schlager-Charge über sich ergehen lässt, wundert mich dann doch. Auf dem Bildschirm inmitten der Bühne läuft eine Dauerwerbesendung für ihr kommendes Album „Babylon“, wenn nicht gerade eine Diashow aktueller Amigos-Pressebilder zu instrumentalen Schlager-Klängen gezeigt wird. Plötzlich steht dann Jürgen Drews mitten im Zuschauerraum. Der spielt allerdings erst am Tag drauf im Krone und scheint sich wohl verlaufen zu haben. „Ich wollte mir mal ansehen, welches Publikum zu den Amigos geht“, sagt er, nachdem ich ihn kurz anquatsche. Dann grinst er. Was sind das nur für Omen, wenn selbst der König von Mallorca das alles nur belächelt?

Um 19:30 Uhr erlischt das Licht, eine Stimme aus dem Off kündigt die beiden Brüder an, die sogleich, mehr oder minder enthusiastisch, mit „Zauberland“ den Abend starten (alle Songtitel habe ich natürlich im Nachhinein gegoogelt und nicht auswendig gewusst, keine Angst!). Im Hintergrund laufen die Musikvideos oder andere Animationen aus dem letzten Jahrtausend, davor, nicht sonderlich beweglich, aber konstant, die beiden Ulrichs. Karl-Heinz greift schon bei der zweiten Nummer zur Akustik-Gitarre, um bloß das altbekannte Bild zu bewahren – dumm nur, dass er überhaupt nicht Gitarre spielt, sondern es nur durchgehend simuliert. Sein Background-Gesang, ebenso wie der Hauptgesang von Bernd, sind aber vollkommen live. Und sogar recht annehmbar und tonsicher zusätzlich. Chapeau! Der Rest: komplett vom Band.

© Petra Schönberger

Was mich dann aber doch überrascht, sind die relativ unterhaltsamen und netten Ansagen. Zwar sind sie oft nur schwerlich zu verstehen, da Bernd so sehr nuschelt, dass man sich die Sätze aus den Worten rekonstruieren muss, aber das ist dann meistens sympathisch und auch ein wenig drollig. Außerdem, wenn schon die ganze Zeit die Werbung dazu läuft, könne man ja auch gleich einen neuen Song spielen. „Wenn das schon YouTube läuft, können wir auch einen spielen“ – Wortlaut Bernd, worauf „Die Legende von Babylon“ folgt. Wieder was gelernt. Mit frischen 68 und 70 Jahren wirken die Männer auf der Bühne recht unermüdlich, wenngleich sie sich ihres Alters und das ihres Publikums bewusst sind – was sie mehrfach zum Scherzen darüber auflegt. Die Klatschzeitungen würden ja auch andauernd von der Auflösung berichten. „Zum Aufhören sind wir zwei doch viel zu alt. Wer hört denn in unserem Alter auf?“, entgegnet Bernd. Brüller.

Die Pause nach der ersten Stunde Programm vergeht dann auch schon wie im Flug. Bei der kurzen Verschnaufpause vom Amigos-Trip werde ich dann noch charmant von einer älteren Fan-Dame mit Daniela Alfinito-Oberteil als „Verräter“ beschimpft. Wahrscheinlich wegen meines Heino-T-Shirts. Allerdings hat sich der blonde Barde in den letzten Jahren noch ein echtes Imperium erschaffen und lässt mit seinem bosshaften Bühnen-Auftreten problemlos die Muckis von Kollegah wie einen Luftballon zerplatzen. Selbst die oft belächelte Helene Fischer begeistert live mit einer unglaublichen Show. Das Experiment Amigos verlangt dann aber doch viel mehr Durchhaltevermögen. Ich wechsle den Platz – Reihe 6 im Parkett ist mir dann doch maßlos zu weit vorne und irgendwie kommt es mir so vor, als würde mich Karl-Heinz die ganze Zeit beim Fake-Gitarre-Spielen ansehen. Etwas Sicherheitsabstand kann nicht schaden.

© Petra Schönberger

Bis 22:05 Uhr wird das Konzert noch gehen, satte 125 Minuten Spielzeit. Die zweite Hälfte allerdings – deutlich schleppender. Zwar werden die Ansagen kürzer, aber wohl auch genau dadurch gibt es einfach zu viel Musik-Brei. Außerdem wirkt es etwas konstruiert, einem Lied übers Sterben eine Schnulzen-Nummern ohne wirkliche Pause folgen zu lassen. Immerhin, die Bildschirme strahlen einen großen Regenbogen aus. Man könnte es als Solidarisierung mit der LGBT+-Szene verstehen – oder einfach nur deshalb, weil der Song „Hinterm Regenbogen“ heißt. Natürlich gibt es auch noch etliche Lieder mit simplen Städte- oder Ortsnamen, von dem die dubiose 2. Person Singular eigentlich andauernd geträumt hat – sei es „San Francisco“, Griechenland oder „Rio Grande“. Zu letzterem erzählt Bernd, dass schon John Wayne dort sein Pferd getränkt habe. Hätte er es zu diesem Lied getan – er hätte es wohl eher ertränkt. Und sich gleich dazu.

In den Zugaben geht es dann in die Vollen – zwei Hit-Medleys! Das Erste besteht

© Petra Schönberger

eigenartigerweise aber nur aus Nummern, die davor schon gespielt wurden, nur einfach in etwas lauter. Abschließend gibt es noch ein paar uralte Schlager hinterher geworfen – und „Gute Freunde kann niemand trennen“ vom korrupten Fußball-Amigo Franz Beckenbauer. Yessas! Dennoch, und so ehrlich muss man wohl sein: ich habe es mir wesentlich schlimmer vorgestellt. Irgendwie bin ich sitzengeblieben, hatte nicht den Drang, schreiend den Saal zu verlassen – und ich weiß immer noch nicht, wie ich diese Tatsache bewerten soll. Denn geht es nur um die Unterhaltung und ein annehmbares Konzert zum Mittänzeln, wie es einige Konzertbesucher(innen) exzessiv betreiben, ist man gar nicht so verkehrt bei einem Konzert der Ulrichs.

Wenn man so einen richtig üblen Tag habe, sagt Bernd in einer Ansage, also einen „Scheißtag“, um ihn zu zitieren, dann einfach folgenden Tipp befolgen: ins Bett zurückgehen, Amigos-CD in den Player, aufdrehen, zuhören. Da frage ich mich: Wird der Tag dadurch wirklich besser? Oder hat er dadurch nicht erst seinen wahren Tiefpunkt erreicht? In jedem Fall dürfen, ganz klassisch, die Nachbarn zuhören, ob sie wollen (wohl kaum) oder nicht (exakt).

Setlist Part 1: Zauberland / Sommer ´65 / Im Herzen jung / Die kleine Taschenuhr / Santiago Blue / Weiße Rosen blühen in Athen / Weißt du, was du für mich bist / Liebe ist… / Die Legende von Babylon / Die Sonne lacht dir ins Gesicht / Mein bester Freund / Lügst du immer noch / 110 Karat

Setlist Part 2: Baby Blue / Rio Grande / San Francisco / Silbermond / Ein Diamant / Hinterm Regenbogen / Du liebst mich immer noch / Butterfly (Danyel Gérard cover) / Ein Boot, das Liebe heißt / Trucker / Rote Rosen / Warum siehst du aus wie ein Engel / Wir bleiben AmigosZugaben: Hitmix 2018 (110 Karat / Bella Donna Blue / Ein Diamant / Rio Grande / San Francisco / Es ist noch wie beim ersten Mal) / Schlager-Hitmedley (Mit 17 fängt das Leben erst an / Schöner als rote Rosen / Mendocino / Gute Freunde kann niemand trennen)

Kommentar: Ludwig Stadler

Herzlichen Dank an Petra Schönberger von Events For You für die Bereitstellung einiger Bilder!