„Ein Volksfeind“ wurde am Samstag im Residenztheater demokratisch gewählt.
Das Stück von Ibsen inszeniert Mateja Koležnik auf den Punkt.
Wenngleich das Drama 1882 veröffentlicht wurde, sind die tagespolitischen Parallelen evident.
Im Zentrum der Handlung steht Familienvater und Badearzt Tomas Stockmann (Thomas Schmauser).
Dieser fühlt sich seiner Stadt gegenüber verpflichtet, über Gesundheitsrisiken der örtlichen Badeanstalt aufzuklären. Damit kommt ein Rad ins Rollen, dessen Wege unvorhersehbar scheinen.
Und da ist er – der aktuelle Bezug!
Überbringer schlechter Nachrichten werden kurzerhand zu Volksfeinden –„Volksverrätern“ im populistischen Jargon– erklärt. Sitzen die alten Eliten, ziemlich glaubhaft, wenn im Kostüm vielleicht etwas klischeehaft dargestellt von Thomas Huber, am Ende doch am längeren Hebel? Wollen sich nicht Stockmann und Anhänger zu Beginn ebenso auflehnen, wie die jene Wähler, die vor zwei Jahren gegen das „Establishment“ stimmten?
Wie viel unangenehme Wahrheit kann die Presse zurückhalten? Und wird sie dadurch zur Lügenpresse?
All diese Gedanken können kommen, werden jedoch nicht aufgedrängt. Im Gegenteil.
Das Stück hält sich zurück. Es erzählt Ereignisse und Wendungen, die aufeinander folgen, sich gegenseitig bedingen, weite und weitere Kreise ziehen. Der Abend selbst zieht sich dabei mit 90 Minuten nicht. Kein einziges Mal hat man genug vom minimalistischen Bühnenbild, jenem Beobachtungsglas, durch dessen Türen im Zentrum des Quaders immer wieder Spieler auftauchen oder verschwinden, ohne dass zu sehen ist, wie sie hinein kommen. Im Gegenteil. Bei jeder Umdrehung der Bühne stellt sich die Frage: „Wer wird hinter der Ecke gelauscht haben?“
Obwohl das Stück die persönliche Entwicklung der einzelnen Figuren nicht ins Zentrum der Betrachtung rückt, werden die verschiedenen Motivationen doch sehr deutlich. So spielt Thomas Schmauser den engagierten, unabhängigen Arzt äußerst überzeugend; dass neben seinem Gewissen auch ein kleiner Wunsch nach persönlicher Anerkennung mitschwingt, ist im Spiel glaubhaft dargestellt. Katharina Pichler, „die Ehefrau“, zeichnet den Prototyp der ordentlichen, strengen, adretten Gattin zur Jahrhundertwende. Auch Buchdrucker (Thomas Gräßle) und Redakteur (Till Firit) geben dem Zuschauer zu verstehen, in welche Gewissenskonflikte eine solche Nachricht auch die Presse bringen kann.
Dass man dergleichen Konflikte stets von allen Seiten betrachten sollte, macht das rotierende Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt deutlich.
Da das gesamte Stück sich innerhalb eines riesigen Glasquaders abspielt, wird der Zuschauer automatisch zum Betrachter von außen. Zudem erinnert die Szenerie an ein Versuchsfeld – mit Neonröhren ausgeleuchtet, von allen Seiten einsehbar, wie in einem (Sozial-)Experiment.
Mit der Regelmäßigkeit der Bühnendrehung, den einheitlich grauen und schwarzen Kostümen der Herren und Damen, entsteht eines aber nicht: Große Unterhaltung.
Packende Momente, Gefühlsachterbahn und Showeffekte würden diesem Stück aber auch nicht gerecht werden, wäre schlichtweg nicht passend.
Es ist ernst und drängt keine politische Haltung auf. Es lässt Zeit zum Nachdenken und Luft für eigene Überlegungen; hierfür liefert es reichlich Denkanstöße.
Wer sich danach sehnt, gefordert zu werden, statt eine schlichte Antwort serviert zu bekommen, wird hier garantiert nicht enttäuscht!
Bericht: Jana Taendler
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