Am Mittwoch habe ich für Nichts eine Karte gekauft, die Schauspieler haben Nichts gesprochen, viele Zuschauer hatte vorher Nichts gelesen und wollte sich nun Nichts ansehen. Nichts wurde inszeniert.
Jedenfalls „Nichts. Was im Leben wichtig ist“.
Mit der Inszenierung im Theater Leo17, eines der Ausweichorte der Studiobühne TWM, hielt sich Regisseurin Miriam Baalcke sehr nah an der Textvorlage, einem Roman von Janne Teller. Dieser landete nach Erscheinen zunächst auf dem Index, dann in den Lehrplänen. Ein Jugendbuch, in dem Schüler nach Bedeutung suchen. Zuweilen auf banale, zuweilen auf brutale Weise.
Bedeutet eine Rose aus einem Brautstrauß weniger, wenn das Paar sich hat scheiden lassen?
Bedeutet es für einen Gitarristen mehr, den Zeigefinger zu verlieren, als für einen anderen Schüler?
Statt um den Berg aus Bedeutung eine Materialschlacht auf der Bühne anzufangen und für die Klasse 7b einen Pulk aus Schauspielern zu rekrutieren, war die Inszenierung zurückhaltend und klar.
Mit einer Polaroid-Kamera wurden Bilder der sinnbehafteten Gegenstände zusammengetragen, die einzelnen Figuren beim Verlust ihrer liebsten Schätze fotografiert. Dokumentarisch wurde verhandelt, wie Menschen mit Verlust, Rache und Sinnsuche umgehen.
Da nur fünf Schauspieler die Texte unter sich aufteilten, lag der Fokus eher auf Sprache als auf stringenter Identifikation des Schauspielers mit der Figur.
Klares einfaches Bühnenbild, zurückhaltende Kostüme, alle in grau. Statt des Pflaumenbaums im Buch verzieht sich Pierre-Anton, jener Störenfried, der den Schülern flüstert, dass Nichts etwas bedeutet, auf einen Turnkasten, wie man ihn aus dem Sportunterricht kennt.
Statt mit Kunstblut herum zu spritzen, wurde mit Sprache, Körper, Atem, Bewegung erzählt, zu welchen Taten sich die Schüler in ihrer Verzweiflung hinreißen lassen.
Damit schaffte es Baalcke, den Fokus auf den Gefühlen der Figuren zu halten und ging das Risiko, die Bühne in ein splatterartiges Schlachtfeld zu verwandeln, gar nicht erst ein.
Cindy Bloes‘ Spiel gelang es, trotz vorher wechselnder Figuren, am Ende der traumatisierten Sophie Gesicht und Stimme zu geben, die den Zuschauer erahnen lässt, wie leicht es ist, mit 15 Jahren den Verstand zu verlieren. Rodrigo Arredono Parra stellt als Pierre Anton einfach die Sachverhalte klar! Selbstbewusst erklärt er Spielern und Zuschauern wie es ist: „Wir werden alle bald sterben, dazu lohnt es sich also sich zu bemühen, wenn man stattdessen nichts tun kann“.
Steile Thesen, stark inszeniert, nicht übertrieben, nicht aufschneiderisch auf die Bühne gebracht, sondern sehr überlegt und wirklich konsequent, wie Pierre-Anton eben.
Bericht: Jana Taendler
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