In Chris Thorpes Theaterstück „Victory Condition“ muss ein Ehepaar, um in der neoliberalen Welt zu überleben, sich für den Sieg konditionieren. Das Publikum wird zum stehenden Voyeur degradiert und beobachtet das Spiel über eine brusthohe Mauer hinweg. Am 23. November 2018 feierte das Stück im Marstall des Residenztheaters deutschsprachige Erstaufführung.
Ein Mann und eine Frau kommen nach Hause. Till Firit und Nora Buzalka betreten ihre Wohnung, die (dem Bühnenbildner Alex Lowde sei Dank) sich perfide genau ihren Bedürfnissen angepasst scheint. Wellnessklänge, Wassergeplätscher und Vogelgezwitscher. Sie im langen dunkelblauen Kleid. Er im grauen Anzug mit weißen Turnschuhen. Sie lassen das Draußen hinter sich und mit ihm all die Zumutungen, die diese Welt bereithält. „Hallo Freunde“, begrüßen sie. „Menschen die du magst, Menschen, die dich mögen“, spricht der Mann ins leere Heim. Sie ziehen sich in Private zurück; er brät ein Ei und sie gießt die Pflanzen. Sie putzen Zähne, waschen Wäsche und bereiten Fertiggerichte in der Mikrowelle. Die Alltäglichkeit wird zur routinierten Choreographie mit desillusionierenden Erkenntnissen. Denn der Regisseur Sam Brown lässt sein Ehepaar zwar neben, aber nicht miteinander leben.
Fremde Realitäten brechen dann, beim fein säuberlichen aufreihen von Hygieneartikeln,
über das Zwei-Personen-Stück herein. Ein Redestrom bricht aus ihnen hervor, der fremde Biographien entziffern lässt. Er, der Mann, ist dann ein Scharfschütze in einem verlassenen Gebäude und muss Aktivisten mit Molotow-Cocktails eliminieren. Sie, die Frau, wird zur Grafikdesignerin mit Schwächeanfall an der U-Bahnstation. Beide beginnen sich in der Wohnung, tief versunken in eigene komplexe Konstrukte, zu verlieren. Verlust der eigenen Identität geht in diesem Fall mit dem Verlust der Feinmotorik einher. „Diese Prozesse sind auf unerklärliche Weise pausiert“, schreit er und lässt das Weinglas überlaufen. Es scheint unmöglich Getränke in ein Glas zu gießen oder Salz zu dosieren. Beim Sprechen versprüht die Frau Essen zwischen den Zähnen auf dem gesamten Boden. Eine Zuschauerin wird bei all diesem Kontrollverlust glatt ohnmächtig.
Zwischendrin gibt es Momente des ängstlichen Innehaltens, immer dann, wenn die Türglocke schellt. Denn auch die Wohnung hat sich nun von der Realität abgekapselt. Ein Motorradhelm tragender Mann steht vor der Tür; ein Astronaut der Pizza liefert. Raum und Zeit verschmelzen zu höchster Konzentration und tödlicher Linearität. Der Fremde entsteht, „wenn in mir das Bewusstsein meiner Differenz auftaucht, und er hört auf zu bestehen, wenn wir uns alle als Fremde erkennen“, zitieren sie Julia Kristeva am 23. November 2018 in der deutschen Erstaufführung auf der Bühne des Marstalltheaters. Eine erstklassige Besetzung lässt den spannenden Zuschauer an intimsten Vorgängen teilhaben, die weniger ausgestellt, als vielmehr szenisch gelebt werden. Kryptische Botschaften inklusive.
Kritik: Carolina Felberbaum