Hexenjagd im Fischerdorf – „Peter Grimes“ in der Staatsoper (Kritik)

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Es gibt nicht viele zeitgenössische Opern, die sich auf den Spielplänen der Welt etabliert haben, zumeist sind es doch eher die avantgardistischen Ausflüge, die aus den letzten Jahrzehnten Kompositionsgeschichte stammen – und nach einem Abend davon folgen zumeist zehn von Mozart, Puccini & co. Eine angenehme Ausnahme bildet die Oper „Peter Grimes“, welche 1945 in London Uraufführung feierte und diese Spielzeit nicht nur in das Programm der Wiener Staatsoper (mit Rollendebüt von Jonas Kaufmann) zurückkehrt, sondern auch als Neuproduktion an der Bayerischen Staatsoper startet. Nach coronabedingten Verzögerungen fand die Premiere am 6. März 2022 statt.

© Wilfried Hösl

Meeresrauschen und das Eintreffen des Dorfes in einem Raum, der sowohl Gericht als auch Gemeindesaal sein könnte. Dass es eher letzteres ist, dürfte mindestens inhaltlich stimmen, denn der Fall um den Fischer Peter Grimes und seine potenzielle Unschuld ist zweitrangig – die Menge hat bereits entschieden, ihn für schuldig zu bekennen. Schuldig an dem Mord seines Fischerlehrlings, der im Sturm ums Leben gekommen war. Zwar wird er ohne Verhandlung freigesprochen, solle sich aber keinen Fischerjungen mehr holen. Grimes, zwingend eine helfende Hand benötigend, holt sich dennoch einen Jungen aus dem Waisenhaus, gemeinsam mit der verwitweten Lehrerin Ellen, die ihn als fast einzige noch unterstützt. Der Druck und die Verachtung seitens der Dorfbewohner werden allerdings zunehmend größer, der Sturm hört nicht auf und Grimes verfällt zunehmend dem Wahnsinn.

© Wilfried Hösl

Die Frage nach der Schuld oder Unschuld im Prolog stellt sich in Stefan Herheims Inszenierung nie wirklich, eher ist es eine Studie, wie aus (Vor)Verurteilung Schuld und Verzweiflung entstehen können. Dabei ist Peter Grimes, dargestellt von Stuart Skelton, wahrlich kein schwaches Fischermännchen, sondern ein fülliger, gestandener und vor allem willensstarker Arbeiter. Ins Wanken gerät er zu Beginn nicht, später erst fasst er den Plan, sich den Respekt zu erarbeiten, den er durch die Verhandlung verlor. Doch nicht nur mit der Inszenierung, auch mit der Musik und damit auch mit Skeltons großartiger Darstellung dreht sich immer weiter die Spirale von Grimes Selbstvernichtung, die nicht mal von der liebenswerten Ellen Orford, fantastisch gesungen von Rachel Willis-Sorensen, aufgehalten werden kann. Dem zuzusehen ist sowieso kein leichtes Unterfangen. Hier gelingt es zusätzlich, das Geschehen so authentisch abzubilden, dass man den Verfall von Grimes Beständigkeit mitfühlen kann. Dafür sorgen, zeitgemäß passend, nicht nur die FFP2-Masken des Chores, sondern auch das herausragende Spiel des Bayerischen Staatsorchesters unter der musikalischen Leitung von Edward Gardner.

Herheims Inszenierungskonzept geht vollständig auf: die flexible Bühne lässt Grimes immer wieder mental zurück in den Gerichtssaal fallen, die Leute laufen dauernd weg, sobald der verschmähte Fischer auch nur die Bühne betritt. Es ist schwer, die Wirkung ausführlich in Worte zu meißeln, da es absolut darauf abzielt, vor Ort durch optische Veränderungen und mächtige Bilder den Niedergang von Grimes festzuhalten. Dennoch wird durch den audiovisuellen Mitschnitt der Premiere ein Eindruck vermittelt – auf Staatsoper.TV ist das Video bis einschließlich 9. April anschaubar. Allein dies, gepaart mit Brittens wuchtigen Kompositionen, einer fesselnden Geschichte, Herheims gelungener Inszenierung und einer astreinen Besetzung, garantiert eine gelungene Opern-Neuproduktion, die es sich unbedingt lohnt, vor Ort angesehen zu werden.

Bis 9. April 2022 als Video-On-Demand auf Staatsoper.TV

Weitere Termine am 13.3., 9.7., 12.7.

Kritik: Ludwig Stadler