Ein Stuhl in der Hölle – Einstürzende Neubauten in der Philharmonie (Konzertbericht)

Quelle: neubauten.org

Einstürzende Neubauten in der Philharmonie am Gasteig – das ist eine beachtliche (und noch nicht dagewesene) Paarung, der zumindest auf den ersten Blick eine gehörige Spannung innewohnt: Die (ehemaligen?) Berliner Anarcho-Krachmucker im gutbürgerlichen Tempel der hohen Kultur? Vergegenwärtigt man sich aber die Position als elitäre, intellektuelle Außenseiter des (bei weitem nicht nur) deutschen Musikbetriebs, als nicht nur von Fans, sondern auch von staatlichen Kulturinstitutionen geachtete Künstler, die die mit Häusern wie der Philharmonie keineswegs unvertraute Band mittlerweile einnimmt, wirkt die Bühne, die die Neubauten an diesem 8. September bespielen, gar nicht mehr so ungewöhnlich.

Allzuoft dürfte der Platz vor der Philharmonie dennoch nicht von Menschen besetzt sein, die Bandshirts von Kapellen wie The Hirsch Effekt tragen, oder auch im vollen Punk-Ornat erscheinen. Schadet nix, denkt man, während immer mehr der bequemen Sitze des Konzertsaals belegt werden. Vollbesetzung herrscht zwar nicht, besonders viel fehlt jedoch auch nicht.

Die Band beginnt ihr Set mit dem leise-verzweifelten „The Garden“, ob des runden Klangs – besonders Alexander Hackes Bass gefällt – keimt Hoffnung auf einen Abend voll hochauflösenden akustischen Hochgenusses; nur, was Perkussionist N. U. Unruh da auf seiner Regentonne trommelt, hört man nicht so recht… Tatsächlich beweist der zweite Song, der frühe „Hit“ „Haus der Lüge“, dass zwar Bass, Gitarre und das Wenige an konventionellem Schlagzeug, das die Klangexperimentatoren um Frontmann Blixa Bargeld benutzen, gut klingen, die Verantwortlichen aber mit Blecheimern, Rohren, aus drei Metern Höhe auf Metall prasselnden Nägeln und all den anderen Klangerzeugern, die (hauptsächlich) Unruh und Drummer Rudolf Moser bedienen, ziemlich überfordert sind. So geht der Song, auf den sich sicher viele Fans sehr gefreut haben, einschließlich Bargelds Gesang in überpegeltem Geklirr unter, auch scheint es, dass die Band selbst akustische und auch den Ablauf betreffende Verständigungsprobleme hat: Mehr als einmal wirkt das Auftreten der Neubauten unkoordiniert, Hacke verlässt die Bühne vor dem letzten Song und muss tatsächlich aus dem Backstage geholt werden, kaum je scheint die Band einen Modus routinierter Professionalität zu erreichen, obwohl sie die Setlist der „Greatest Hits“-Tour, die sich vor allem aus dem – das Konzeptwerk „Lament“ nicht mitgerechnet – letzten Album „Alles wieder offen“ (2007) und der Erfolgsscheibe „Silence is Sexy“ (2000) speist, seit dem letzten Jahr vielfach und variationslos zum Besten gegeben hat. Mehrmals beginnt Bargeld seine Ansagen auf Englisch, um jedesmal durch Zwischenrufe daran erinnert zu werden, wo er hier eigentlich auftritt, er erzählt kurze Anekdoten, philosophiert über die musikalischen Implikationen von EU-Normen für Rohrlängen, zeigt sich aber zu mehr als dem Abspulen dieser sichtlich standardisierten Sätze unfähig oder unwillig, was der Bühnenpräsenz der Neubauten etwas recht Steifbeiniges verleiht, zumal auch musikalische (vor allem rhythmische) Patzer, die durchaus vorkommen, nach Kompensation durch Lebendigkeit, nach der wortlosen Überzeugungskraft – die Redundanz sei verziehen – lebendiger Live-Musik verlangen.

Mehrmals gelingt den Einstürzenden Neubauten dieses Kunststück, zum Beispiel mit „Dead Friends (Around The Corner)“, das als vierter Song das Eis bricht, dem intensiven „Sonnenbarke“, dem volltönenden Medley aus „Halber Mensch“ und „Von Wegen“, und besonders dem fetten, (nicht als einziges Stück) mit Dosengeigern aufgemöbelten „Susej“. Dies verbunden mit der natürlichen Begeisterung, Lieblingssongs „in echt“ zu erleben, kommuniziert appellativ mit den Beinen der Zuschauer, doch während die meisten erst nach „How Did I Die“, dem Ende des regulären Sets, begeistert zu Standing Ovations aufspringen, folgen einige schon früher dem Ruf ihres Bewegungsapparats und tanzen auf dem wenigen verfügbaren Platz (auf den Treppen, vor dem Ausgang) – so gut man zu den Neubauten eben tanzen kann…

© Mote Sinabel

Mit den beiden Zugabeblöcken winken noch einmal große Titel: Unter anderem „Silence is Sexy“ (inklusive Zigarette und Tinnitus-Overkill-Hochton), „Let‘s Do It Dada“ und zuletzt „Redukt“. Vor allem dieser Song verheißt ein Abrissbirnen-artiges Finale zu werden, Blixa und Freunde halten sich jedoch strikt an die eigene Vorgabe bzw. Vorlage und lassen die eruptiven Parts des Songs nicht aus den streng gezogenen Einhegungen durch leisere Passagen entkommen, was den Gesamteindruck des Abends bestätigt, welcher einer von Gehemmtheit ist:

Die Neubauten manövrieren bei Weitem nicht immer souverän durch ihr Set, werden das gesamte Konzert lang eine gewisse Steifbeinigkeit nicht los. Als Zuschauer sitzt man bequem und begegnet den Krach-Attacken der Band distanziert – als sähe man Bauarbeitern von dem Fenster zu. So geht die brutale, brachiale, (so meine Überzeugung) nicht allein aus verstiegenen Konzepten, sondern auch aus authentischen künstlerischen, mithin (selbst-)zerstörerischen Erlebniszuständen geborene Energie, die diese Band sowohl im Lauten, wie auch im Leisen umzusetzen weiß (oder wissen sollte) zu einem ärgerlich großen Teil verloren: In der räumlichen Fixierung von Band und Publikum im Konzertsaal, im bisweilen fast nachlässigen Auftreten der Band zum einen und in ihren nicht selten erfolglosen bzw. nicht gemachten Versuchen, ihren Songs im Live-Zusammenspiel eine ganz unabstrakte – in diesem Sinne körperliche – Durchschlagskraft einzugeben, zum anderen.

Aus einer weniger expliziten Erwartungshaltung heraus, die deutlicherweise ein begeisterter Großteil des Publikums in die Philharmonie hineintrug, lässt sich das Konzert jedoch durchaus positiv bewerten. Immerhin spielten die Einstürzenden Neubauten – bei sich stetig verbessernden Klangverhältnissen – etwas über zwei Stunden lang eine Setlist, die sich tatsächlich als Geschenk an eine langjährige, treue Hörerschaft verstehen lässt – wer nicht gerade ein engstirniger Das-erste-Album-war-das-beste-Typ ist, sollte auf seine Kosten gekommen sein.

Setlist: The Garden / Haus der Lüge / Nagorny Karabach / Dead Friends (Around the Corner) / Unvollständigkeit / Youme & Meyou / Die Befindlichkeit des Landes / Sonnenbarke / Halber Mensch-Von Wegen / Sabrina / Susej / How Did I Die? // Silence Is Sexy / Let’s Do It a Dada / Total Eclipse of The Sun // Salamandrina / Redukt

Konzert im Rahmen des „25 Jahre Muffatwerk“-Festspiels

Bericht: Tobias Jehle