Eine Institution, die die Bayerische Staatsoper sicherlich auszeichnet, ist das Opernstudio. Dort haben Opernsängerinnen und -sänger unter 30 Jahren, die bereits ihr Studium absolviert haben, die Chance, eine praxisbezogene und intensive Zusatzausbildung an einem der größten Opernhäuser der Welt zu erhalten. Jedes Jahr gibt es zudem im Frühjahr im Cuvilliéstheater eine Opernproduktion. Im Jahr 2019 hat sich Regisseur Axel Ranisch an eine Fusion von Zwei Einaktern gewagt: „Mavra / Iolanta“. Am 15. April 2019 hatte die Produktion Premiere.
Allein die Idee ist spannend und erzeugt ohne Wissen über die Umsetzung Spannung. Zum einen ist da „Iolanta“ von Peter I. Tschaikowsky, ein 90-minütiger, lyrischer Einakter und zusätzlich die letzte Oper, die der russische Komponist geschrieben hat – zum anderen „Mavra“ von Igor Strawinsky, eine ziemlich unbekannte Mini-Oper, die gerade einmal 25 Minuten dauert und als opera buffa eingeordnet wird, also als Komische Oper. Gemeinsamkeiten gibt es wenige: beide handeln von Liebe, außerdem hat Strawinsky seine „Mavra“ Tschaikowsky gewidmet. Doch reicht das bereits, um eine Fusion zu ermöglich? Denn Ranisch interessiert sich weniger für die beiden Werke im Einzelnen, welche getrennt voneinander mit Pause gezeigt werden – nein, er lässt beide ineinander zerfließen und stückweise immer wieder auftauchen. Bis am Ende alles zusammenläuft.
Allgemein hält sich Ranisch nicht unbedingt an die exakten Handlungen – seine „Mavra“ wird immer nur dann gezeigt, wenn Iolanta mit ihren Puppen spielt. Es ist faktisch nur die Geschichte der Protagonistin einer anderen Geschichte. Deutlich wird dies durch spannend getrickste Puppenkostüme, die die Sängerinnen und Sänger tragen – den Gesang hindern sie mit offenen Puppenköpfen nicht, die Bewegungen sind abgehackt und dem Spielen empfunden, das zeitgleich im Bühnengerüst dahinter zu sehen ist. Natürlich ist nicht immer alles exakt synchron, aber es gelingt, die Bewegungsabläufe grob wiederzuspielen – der vielleicht cleverste Trick des Abends. Nicht minder clever, aber wohl vor allem anfangs ungewöhnlich, ist die Änderung des Finales. Eigentlich kann die blinde Iolanta nach ihrer Operation wiedersehen und kehrt zu ihrem Geliebten Vaudémont zurück – dieses Mal spielt sie ihren geglückten Eingriff nur, was außer Vaudémont niemand zu begreifen scheint. Nicht sie gewinnt so ihr Augenlicht, sondern er verliert es, da er sich aus Liebe die Augen aussticht.
Das klingt nun alles wesentlich martialischer als es ist, denn Ranisch und das Ensemble bemühen sich um eine möglichst märchenhafte Umsetzung. Die Bühne von Falko Herold ist zwar aus Metall, aber vermittelt dennoch das Gefühl, man befände sich in einem Rapunzel-Versteck anno 2019, etwas weniger Sonnenlicht, dafür eine Vielfalt von Blumen. Musikalisch überzeugt das gesamte Ensemble, jeder und jedem gelingt es überraschend flüssig, die russischen Gesangsstücke darzubieten. Teilweise wird es allerdings stimmlich fast zu laut – das Cuvilliéstheater ist nun einmal doch nicht das Nationaltheater, und so wird das Orchester nicht nur, wie üblich, übertönt, sondern teilweise maßlos in den Hintergrund gesungen. Dem Abend tut das aber keinem Abbruch. Das Publikum applaudiert fleißig nach dem 130-minütigen Vergnügen, das zwar etwas Ausdauer im Sitzen abverlangt, aber weder Langeweile noch Ermüdungseffekte innehat. Eine kleine, märchenhafte Opernfusion, die sich durchgehend mit den Grenzen lyrischer und komischer Oper spielt.
Kritik: Ludwig Stadler
Besuchte Vorstellung: 22. April 2019