Der Blick auf den spontan erstellten Zusatz-Spielplan der Bayerischen Staatsoper, mit dem sie verführt in die Saison starten, überrascht, denn neben Mozart-Opern und nachgeholten Premieren befindet sich auch ein ungewöhnlich prominenter Name in der Liste: Jonas Kaufmann. Ungewöhnlich nicht insofern, dass er auftritt – das tut er zur Freude der Münchner zu Genüge. Aber zu dieser Zeit einen Liederabend? Vor, anfänglich, 200 Personen? Letztendlich hat es sich etwas gefügt und 500 Personen können dem Tenor gemeinsam mit Pianist Helmut Deutsch lauschen. Der Saal am Sonntagabend, 6. September ist, soweit eben möglich, vollbesetzt.
Zwei Tage zuvor erschien „Selige Stunde“, Kaufmanns neues Album. Darauf zu finden ist eine wilde Ansammlung an Liedern, die ihm und Deutsch gefallen und die sie spontan und im Eifer des Gefechts zuhause aufnahmen. Der Klang dadurch: intim, innig, greifbar. Letztendlich die Attribute, die eine Lieder-Platte haben sollte. Es dauert aber, bis einige wenige Stücke davon gespielt werden, denn auf dem Plan steht: „Die schöne Müllerin“ von Franz Schubert in voller Länge. 2009 hat er das bereits auf CD festgehalten, nun hat er den Liederzyklus für die coronakonformen Konzerte diesen Sommer wieder hervorgeholt. In Grafenegg und Genf gelang das bereits bestens, in München steht Kaufmann gesanglich in nichts nach: er ist klar, nuanciert, kräftig und in den richtigen Stellen leise. Auch wenn er sich vor allem zu Beginn überraschend oft räuspert, hört man in der Stimme davon nichts. Seine dauernde gesangliche Aktivität, vom Stream-Konzert bis zur Plattenaufnahme, haben seine Stimme auch in der komplizierten Lockdown-Zeit hörbar fit gehalten.
Dabei ist „Die schöne Müllerin“ vielleicht wirklich die beste Wahl, die er und Deutsch haben treffen können. Allzu schwer liegen Schuberts Melodien nicht im Magen, meist sind sie schmeichelnd, teils etwas kitschig. Angenehm: Helmut Deutsch kann wirklich schöne Melodien dazu spielen, Schubert hat die Klavierbegleitung wunderbar auskomponiert und lässt die Klangkulisse deutlich satter klingen als bei beispielsweise Richard Strauss und Alban Berg. Selbstredend, dass Deutsch die Noten vollends virtuos spielt, dennoch zurückhaltend genug, um der Stimme genug Raum zu lassen. Zurückhaltung ist wiederum nicht die Stärke von Kaufmann – zu den Liedern muss er durchwegs gestikulieren und doch ein wenig schauspielern. Da geht eben doch der Vollblut-Opernsänger in ihm durch, den er die letzten Jahre doch deutlich häufiger fordern durfte als den Liedsänger. Der Applaus ist den beiden Musikern nach dem rund 65-minütigen Marathon gewiss.
Und natürlich gibt es als Reaktion zum nicht enden wollenden Applaus noch drei Zugaben obendrauf – die gleichen wie bereits in Grafenegg, wieder nur Schubert und allesamt auf der neuen CD vertreten: „Der Jüngling an der Quelle“ und die beiden Goethe-Gedichte „Der Musensohn“ und „Wandrers Nachtlied“ als atmosphärisch-ruhiger Abschluss. „O Bächlein meiner Liebe“ hat Jonas Kaufmann zuvor in „Die Neugierige“ gesungen – und durchaus, wie ein Bächlein immer weiter fließt, so sind auch die Auftritte in der Staatsoper immer wieder zahlreich im Kalender des längst international tätigen Tenors. Und die Liebe, vor allem die des Münchner Publikums, die ist ihm sicher. Jedes Mal!
Kritik: Ludwig Stadler