„Meine Musik ist nichts für Oberflächliche“ – Joachim Witt im Interview

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Er ist unangefochten der Meister in der musikalischen Weiterentwicklung und ebenso darin, in jedem neuem Genre zu glänzen und große Erfolge zu feiern: Joachim Witt. Der ehemals NDW-, dann NDH-, dann Synth-Pop-, nun Alles-Zusammen-Star ist seit fast 50 Jahren auf der Bühne und davon ebenso seit etwa 45 Jahren mit eigener Musik. Am 12. Mai 2018 begab sich der Altmeister also nach vier Jahren zum Tournee-Abschluss der „Rübezahl“-Tournee wieder nach München ins Backstage. Redaktionsleiter Ludwig und Fotografin Ronja hatten die Ehre, Joachim Witt persönlich zum Interview vorab zu treffen, wobei er uns einiges verriet über sein aktuelles Album „Rübezahl“, seine Verbindung zur Stadt München und seine Einschätzung zu den geistigen Ergüssen seines Kollegen Hubert Kah.

Kultur in München: Hallo Herr Witt, schön, dass Sie heute Zeit gefunden haben! Sie spielen heute in der Backstage Halle. Ihr letzter Besuch war am 15. Mai 2014, also vor vier Jahren, mit der „Neumond“-Tour. Seitdem ist viel geschehen: drei weitere Alben, ebenso drei weitere Tourneen. Dennoch sind die Konzerte in Bayern immer etwas problematischer als woanders, obwohl Sie sogar Ihre bekannte Album-Trilogie nach einer bayerischen Stadt benannt haben. Woran liegt das, was meinen Sie?

Joachim Witt: Bayern und Baden-Württemberg sind immer ein wenig schwer, dieses Nord-Süd-Gefälle besteht schon immer. Das war in den 80er-Jahren schon so, vielleicht liegt es an der Musik, ich weiß es nicht. Vielleicht an dem Lebensstil und Inhalten meiner Musik, dass es sich nicht deckt mit dem Lebensgefühl hier – aber das sind alles Vermutungen. Womöglich auch, da ich mit meiner Musik eher die Menschen ansprechen, die auch viele Probleme haben und deren Struktur eine andere ist. Hier ist ja eher „blühende Landschaft“. Meine Musik ist nicht auf Wohlstand und Wohlhabenheit ausgerichtet, deshalb trifft es wohl nicht so den Lebensnerv. Ich habe auch viel Resonanz von Menschen, denen das Leben nicht so gut mitgespielt hat und die Musik sehr geholfen hat. Es spricht also eher den Teil an, den es nicht so gut geht.

Kultur in München: Sie waren im Laufe Ihrer Karriere des Öfteren hier, im Jahr 1998 haben Sie bei Rock im Park gespielt, das war damals noch im Münchner Olympiastadion. Wir als Magazin mit dem Namen „Kultur in München“ sind logischerweise in dieser Stadt verwurzelt, sei es durch Geburt, Studium oder einfach nur Wohnort. Wie ist Ihr Verhältnis zu München? Verbinden Sie etwas mit dieser Stadt? Wie gefällt es Ihnen hier?

Schwer zu sagen, es ist zwiespältig. Ich finde die Stadt eigentlich wunderschön, aber das Lebensgefühl ist nicht meins. Hier muss immer alles so toll sein, jeder muss der Größte sein, alles muss gut laufen, einfach die Auswüchse derer, denen es ökonomisch gut geht – das ist in dieser Oberflächlichkeit nicht mein Lebensstil. Außerdem sind die Taxifahrer sehr unfreundlich, aber das war damals schon so, das ändert sich wohl nicht mehr (lacht).
Nein, aber wenn man jedenfalls den Schnitt nimmt, dann ist es hier oberflächlicher. Meine Musik ist keine Musik für Oberflächliche.

Kultur in München: Vor 44 Jahren erschien mit „Ich bin ein Mann“ ihr erstes Lied unter dem Pseudonym „Julian“.

Ohje, furchtbar. Grausam!

Kultur in München: Ich hab mir die Mühe gemacht und zumindest die Titel unter Witt, Julian und Düsenberg zu zählen – dabei sind die Lieder noch nicht berücksichtigt, die Sie für andere Künstler geschrieben haben: 257 Liedern. Was empfinden Sie dabei, wenn Sie die Zahl hören?

Ich denke, dass ich sie auf keinen Fall auswendig kann, das fällt mir als Erstes ein (lacht). Ich weiß gar nicht, ob das so viel ist, wenn man bedenkt, wie alt ich schon bin. Es hat sich angesammelt, aber ich habe früher nicht so oft veröffentlicht, das hat sich erst in den letzten Jahren so ergeben.

Kultur in München: Während „Thron“ bereits musikalisch vielfältig in alle möglichen Richtungen ging, startet Rübezahl nun wieder in Richtung Rock und teilweise auch Metal. Schwerfälliger, orchestraler Rock quasi. Lag das am Konzept, an Chris Harms oder dem eigenen Bedürfnis, wieder gitarrenlastiger zu werden – oder einfach an allen drei Dingen?

Es war so, dass ich an „Bayreuth“ (Anm.: Album aus dem Jahr 1998, beinhaltet u.a. „Die Flut“) anschließen wollte, wieder mehr mit Gitarren machen. Das haben wir zwar bei „Thron“ auch schon gemacht, aber ich wollte es konsequenter ausgestalten. Da hat mir die Zusammenarbeit mit Chris Harms sehr geholfen, da er in dem Bereich sehr erfahren ist, auch durch seine eigene Musik. Das hat auch deshalb geholfen, weil ich damit an einen Punkt gelangt bin, an den ich eigentlich schon vorher kommen wollte. Ich möchte nicht mehr diesen bunten Strauß Blumen an verschiedenen Stilrichtungen, ich wollte den Sound konsequenter haben, dass es aus einem Guss ist. Das ist mir mit Chris Harms gut gelungen. Ich glaube, dass ich jetzt den Weg gefunden habe, und so möchte ich auch weiter arbeiten.

Kultur in München: Man darf sich also drauf einstellen, dass es weitere Werke im Stil von „Bayreuth“ und „Rübezahl“ geben wird?

Ja.

Kultur in München: Was würde der Joachim Witt von damals, der gerade „Silberblick“ veröffentlicht hat, wohl sagen, wenn er „Rübezahl“ hören würde?

Letztens kam mir erst der Gedanke, dass „Silberblick“ damals ein Alleinstellungsmerkmal hatte, es gab keine Vergleiche mit anderen Sounds, auch aus der Zeit nicht. Und das, glaube ich, habe ich mit „Rübezahl“ jetzt wieder geschafft, in der Kombination, wie es passiert ist: das Orchestrale mit schweren Gitarren, ich weiß nicht, wer das heute noch macht. Deshalb ist es das wichtigste Album für mich seit „Silberblick“. Alles zwischendurch war vergleichbar. Auch die „Bayreuth“-Sachen. Da habe ich oft gehört: das klingt ja wie Rammstein. Diesen Satz möchte ich einfach nicht mehr hören. Und ich glaube nicht, dass die jetzige Musik Anlass gibt, solche Vergleiche zu ziehen, es ist ein Alleinstellungsmerkmal. Ich mach keine Musik wie Rammstein, sondern meine Musik, die jetzt so auf den Punkt ist, dass es 100% meine persönliche Ausdrucksform ist.

Kultur in München: Es ist ja auch sicherlich eine erfreuliche Sache zu sehen, dass die Fans diese Ausdrucksform ebenfalls sehr befürworten.

Ja, natürlich. Auf den Konzerten jetzt ist auch eindeutig eine höhere Publikumsfrequenz zu erkennen, das ist eine schöne Entwicklung. Selbst hier in München, wo die Vorverkäufe sonst eher ein Gefälle sind, war es nicht so schlimm (Anm.: Beim Konzert selbst war der Saal fast ausverkauft).

Kultur in München: Mit Ihrem Genre-Kollegen Hubert Kah haben Sie u.a. das Lied „Terrorist der Liebe“ aufgenommen, aber er hat auch in Ihrem Musikvideo zu „Hände hoch“ mitgespielt. In letzter Zeit ist er vor allem dadurch aufgefallen, die Leute dazu aufzufordern, sich eigene Waffen zu kaufen und sich selbst zu verteidigen, aber auch durch seine Forderungen, öfter die Deutschland-Flagge zu hissen und mehr Heimatbewusstsein zu bekommen. Jüngst gab es auf seinem Facebook-Profil irgendwelche kryptischen Worte. Was sagen Sie, als tendenziell sozial- und linkspolitisch eingestellter Mensch, zu den jüngsten Ergüssen ihres Kollegen?

Das habe ich ein wenig aus dem Auge verloren. Die Zusammenarbeit damals beim „Hände Hoch“-Musikvideo und der Gastauftritt, das waren so die letzten Berührungspunkte, weil Hubert sich dann auch auf einmal zurückgezogen hat. Auf der anderen Seite war es so, dass ich ihm nicht wirklich weiterhelfen konnte. Er hatte ja um Hilfe gebeten, ob ich ihn mit dem Publikum und der Reichweite nicht unterstützen könne, da er ja gerne diesen Change-Over machen wollte. Raus aus der NDW und dem endlosen Retro – und er hat ja ein tolles Album gemacht, aus meiner Sicht, was natürlich sehr speziell und nicht kommerziell ist, dennoch gut. Das war ein guter Ansatz, aber dann versiegte es ein bisschen, weil er keine Band formieren konnte, keinen richtigen Zugang zu der Szene.

Kultur in München: Aber Sie haben es dann seitdem ganz aus den Augen verloren?

Ja. Ich habe auch diese Posts nicht mitbekommen. Aber ich weiß, dass Hubert sowieso sehr speziell und launisch ist, es ist auch sehr schwer kalkulierbar, mal so und mal so. Er ist eben ein sehr spezieller, aber sehr charismatischer Typ. Man muss ja auch nicht immer einer Meinung sein.

Kultur in München: Sie waren die letzten Wochen auf „Rübezahl“-Tour, die heute in München ein Ende findet. Währenddessen spielen Sie konsequent Ihr gesamtes neues Album und einige wenige Zugaben abschließend. Bereits bei der „Thron“-Tour haben Sie das gesamte Album gespielt, aber dort auf keinen Klassiker verzichtet und daher einfach länger gespielt. Ganz einfache Frage: Wie schwer war es, „Gloria“ aus der Setlist zu nehmen?

Nicht schwierig. Es ist sicher einer meiner Lieblingstitel, aber da denke ich dann ganz rational. Ich spiel dann lieber mal sowas wie „Strenges Mädchen“ oder „Liebe und Zorn“, wie ich es jetzt auch mache. Die man von früher nicht so genau kennt, aber die auf der Bühne einfach losgehen. Für die Leute, die in den 80ern schon dabei waren, ist das dann wie eine Perle, die man nicht häufig spielt. Da müssen andere dann eben weichen, die spiele ich zu einer anderen Zeit vielleicht wieder.

Kultur in München: Vor einigen Tagen begann ja der Vorverkauf der „Klassik Art Tour“, vier Auftritte mit ihrer Musik in klassischem Gewand, begleitet von einem Kammerorchester, eine sicherlich spannende Erfahrung. Hamburg ist sogar schon ausverkauft. Was darf man sich denn da erwarten?

Ich hab die Titel querbeet ausgesucht, durch alle Phasen hindurch, die sich am besten für orchestrale Arrangements eignen. Das kann man nicht mit jedem Titel machen, da der Charakter dann verloren geht und die Atmosphäre sich nicht so überträgt, wie sie eigentlich sollte. Ich möchte da jetzt aber noch keine Titel verraten.

Kultur in München: Darauf wollten wir auch gar nicht hinaus. Aber klingt nach einem außergewöhnlichen Konzert. Leider kommt es ja nicht in den bayerischen Raum…

Naja, aber das kann durchaus sein, dass es noch ausgeweitet wird aufgrund der Nachfrage, die bei den Konzerten besteht. Und sicher wird diese Klassik-Geschichte auch aufgezeichnet, auch bei „Gothic Meets Klassik“ wird von mir aufgezeichnet werden. Das wird dann auch sicher irgendwann als DVD erscheinen.

Kultur in München: Dann bedanken wir uns herzlich für das Interview und dass Sie sich die Zeit genommen haben – und natürlich viel Spaß beim Konzert. Es wird ja vorerst das letzte Mal sein, dass es „Rübezahl“ in voller Länge zu hören gibt.

Ja, wahrscheinlich. Das nächste Mal ist es dann das nächste Album-Projekt, ich weiß noch nicht, wie ich es nenne. Ich danke euch!

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Planung, Durchführung und Nachbearbeitung: Ludwig Stadler
Fotos: Ronja Bierbaum

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