Es war der absolute Star in der letzten Spielzeit der Bayerischen Staatsoper: „Andrea Chénier“. Die Oper von Umberto Giordano ist ein ziemliches One-Hit-Wonder des Komponisten – aber was für eines, denn das Stück zählt auch heute noch zu den meistgespielten Werken! Im März diesen Jahres feierte die Inszenierung von Philipp Stölzl und mit Jonas Kaufmann und Anja Harteros in den Hauptrollen Premiere im Nationaltheater – am 29. November wurde es wieder aufgenommen. Diese Möglichkeit haben wir uns nicht entgehen lassen, von der aufwendigen Produktion zu berichten.
Es war ein langes Ringen um Giordanos Klassiker, denn irgendwie, trotz aller (Un-)Bemühungen, schien es jahrzehntelang so, dass „Andrea Chénier“ wohl einfach nicht auf die Nationaltheater-Bühne soll. Während das Gärtnerplatztheater immerhin 1975 das Werk in München debütieren ließ, dauerte es noch einmal weitere 42 Jahre, bevor es endlich zur Staatsoper-Erstaufführung kommt. Nun aber kann es gar nicht schnell genug gehen: bereits sieben Monate nach dem vorerst letzten Vorhang kehrt das Drama zurück, der Karten-Andrang wieder riesig und wieder mit dem Resultat, dass nach wenigen Stunden fast alle und nach wenigen Tagen tatsächlich alle Kontingente vergriffen sind. Eine Inszenierung mit einer hochkarätigen Besetzung, die so stark anzieht, selbst in der zweiten Spielzeit? Das kann nur etwas Besonderes sein. Und genau das ist es auch.
Das beginnt allein schon bei der Oper selbst. Recht kurzweilig und komprimiert, mit einer Reinlaufzeit von knappen zwei Stunden, ist es ein schöner Kontrast zu den meist doch recht langwierigen italienischen Dramödien oder Schmonzetten, die sich handlungstechnisch ein wenig im Kreis drehen – hier gibt es eine Linie, ein Lied für jede Handlung, es geht durchgehend voran, ohne einmal stehen zu bleiben. Dabei kommt aber weder die Liebesgeschichte noch die dramatische Rahmenhandlung in der französischen Revolution zu kurz – des Öfteren fusionieren beide Aspekte so, dass ein neuer Esprit entsteht, der nur noch mehr Aufmerksamkeit fordert. Die Entscheidung, eine Pause nach den ersten zwei Bildern einzulegen, mag wahrscheinlich an der Inszenierung liegen, birgt aber für die Besucher die Chance, einmal kurz durchzuatmen und sich über das gerade Gesehene auszutauschen – und da gibt es vieles.
Am eindrucksvollsten ist wahrscheinlich auf den ersten Blick das Bühnenbild. Wie ein riesengroßes, teilweise dreistöckiges Puppenhaus, gliedert sich die Bühne so in verschiedene Räumlichkeiten, in denen Menschen Handlungen vollziehen – ein reges Treiben, das ein wenig an eine Überwachungsfernseher-Front erinnert, denn man hat durchgehend alles gut im Blick.
Dabei ist es schlichtweg eine Wucht, wenn diese riesengroßen Bühnenbauten sich in schier ewiger Länge erstrecken und, wenn sie dann mal zur Seite abfahren, bereits dahinter ein noch größerer Aufbau wartet. Wenn man dann noch zeitgleich versucht, die Übersetzung mitzulesen und der Musik zu lauschen, dann kann man kurzzeitig schon den Überblick verlieren.
Stölzl gelingt hierbei vor allem der clevere Schachzug, die Unterteilung in Kellergewölbe, besiedelt vom arbeitenden, niederen Volk, und prunkvolle Räumlichkeiten, in denen die Adeligen gleich zu Beginn ein Fest feiern. Dass sich dieses Bild später im Laufe der Revolution und damit auch des Stückes noch drehen sollte, lässt die Genialität dieser Idee durchblicken, die Grundideen der Revolution, ohne sie auszusprechen, bereits sichtbar zu machen. Wenn die Adeligen einem Theaterstück zusehen, während im Keller die Bühne mit mühsamen Arbeiten in Bewegung gehalten wird, dann ist es, trotz der wunderbaren Detailverliebtheit der Sequenz, doch ein harter Anblick, den Gegensatz so massiv zu sehen.
In diesen unruhigen Zeiten kämpft sich der Dichter Andrea Chénier mehr schlecht als recht durch, bis er letztendlich gefasst und des Verrats beschuldigt wird. Die Titelrolle übernimmt hierbei Jonas Kaufmann, der vielleicht derzeit bekannteste und erfolgreichste, aber dabei auch beste Tenor der Welt. Dass er diesen finiten Superlativ absolut zurecht tragen darf, beweist er mit kräftigem Gesang und intensivem Schauspiel. Anja Harteros als Maddalena gebührt aber hier, wie auch in der ersten Laufzeit, der meiste Applaus. Gesanglich absolut überwältigend bietet sie die bekannte Arie „La Mamma Morta“ dar, wofür sie berechtigterweise den lautesten Szenenapplaus des Abends bekommt.
Immer dann, wenn das heimliche Opern-Bühnentraumpaar der Bayerischen Staatsoper gemeinsam über Liebe und Tod singt, wird es besonders mächtig, denn die beiden Stimmen harmonieren perfekt zusammen und sind für sich eigenständig inzwischen so kräftig, dass sie beide das recht laut dirigierte Orchester übersingen können, aber trotzdem noch individuell hörbar bleiben.
Als dritte Hauptrolle Gérard kann auch George Petean das Publikum durchwegs überzeugen und erntet fleißig Applaus, wobei Luca Salsis Interpretation in der ersten Spielzeit eindringlicher war.
„Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder“ sagte der Anwalt Pierre Vergniaud kurz vor seiner Hinrichtung während der französischen Revolution. Chénier verabschiedet sich in den letzten Augenblicken vor seinem Tod lieber innig von seiner geliebten Maddalena, bevor die Guillotine nach unten fällt und das Licht erlischt. Der anschließende Applaus sollte sich weit über zehn Minuten erstrecken. Der Großteil des Nationaltheaters spendet Standing Ovations, was im Opern-Betrieb ein viel größeres Lob als beispielsweise im Musical-Betrieb darstellt. Dieses lautstarke Lob – es ist absolut richtig. Etwas derart Großartiges gibt es selten auf einer Bühne zu sehen.
Bericht: Ludwig Stadler
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