Happy Nihilism – Devin Townsend im Freiheiz (Konzertbericht)

Devin Townsend ist ohne Zweifel einer jener Künstler, die ihre Popularität und Bekanntheit zu einem nicht unerheblichen Teil nicht nur aus ihrer Kunst, sondern auch aus ihrer Person(a) beziehen. (Womit über die Qualität des Werkes noch nichts gesagt ist.) Da ist es kein Wunder, dass die Aussicht auf einen Abend mit dem kanadischen Prog-Megalomanen, bei dem die bombastische Wall of Sound zugunsten eines Akustik-Sets und eines ausgedehnten QA-Teils zurücktritt, in Windeseile für ausverkaufte Konzert-Locations sorgt. Eine davon ist das Freiheiz, dem Townsend am 7. April einen Besuch abstattete.

Man kann ihn leicht mit einem Stagehand verwechseln, wie er da pünktlich um acht vor das noch erleuchtete, volle, bestuhlte Freiheiz tritt, in Mütze, Brille, Pullover; sich vorzustellen, wie der Erschaffer und Impresario des Metal-Puppen-Musicals über den verkorksten Außerirdischen Ziltoid in diesem Outfit seine Kinder zur Schule bringt, fällt nicht weiter schwer. Den ersten Teil des Abends bildet Townsends Akustik-Performance, im Anschluss werden schriftlich eingereichte Publikumsfragen beantwortet.

Ein ebenfalls herausragendes Merkmal des Townsendschen Schaffens ist sein Changieren zwischen überbordender Emotion, epischer Breite, weltenweiter Dramatik und dem Ironischen, Humoristischen. Gerade der oft fast lächerliche Überdruck der Instrumentierung verfremdet tendenziell Townsends Musik, auch ohne die feixende Kommentierung des Musikers während der Darbietung. Spannend ist nun, wie sich Townsends Bekenntnis zum Bombast mit dem Unterfangen eines Unplugged-Konzerts und dessen Versprechen, nämlich Authentizität und Unverstelltheit zusammenbringen lässt.

Tut es nicht. Ernst und ernsthaft wird Devin Townsend heute erst, wenn er die Gitarre beiseite legt. Akustisch ist die schon, doch weit ist dieser Mann davon entfernt, einfach und ungefiltert – Songs zu spielen. Seine Stimme und vor allem das Instrument ertrinken fast in Hall, und anstatt die dargebotenen Stücke, die sich aus fast allen Perioden seines Schaffens speisen, auf ein kompaktes Maß herunterzubrechen, lässt Townsend sie in ihrer Länge stehen, nur eben reduziert auf Gesang und Gitarre. So verschwimmt, zerfasert alles zu einem gefälligen, aber unspannenden Geplätscher, in dem einzig die wirklich grandiosen Gesangesleistungen Townsends hervorstehen: Scheinbar mühelos rutscht er zwischen Oktaven hin und her, springt aus Schrei- in glasklaren Klargesang über.

Darüber hinaus scheint der Mann partout nicht willens zu sein, sich in herkömmlicher songwriterischer Ehrlichkeit zu präsentieren; aus seiner komfortablen Zone aus musicaleskem Schmalz und gleichzeitiger ironischer Brechung, durch eingeschobene Kommentare, Grimassen, Witze, mag er einfach nicht heraus. Das kennt man von seinen gewöhnlichen Konzerten, das ist unterhaltsam, doch befriedigt nicht ganz, zumal es den Zuhörer, den Fan in die seltsame Lage bringt, diese Musik scheinbar mehr zu schätzen als ihr Erzeuger.

Fast unerwartet ist es da, wenn Townsend sich im QA-Teil des Abends immer wieder mit überraschender Ehrlichkeit und Offenheit an sein Auditorium wendet. Gleich eine der ersten Fragen richtet sich auf sein Verhältnis zwischen Ernst und der Dekonstruktion desselben. Hier nun vollzieht der Musiker nach, was er sonst nur als ein nicht selten irritierendes Ergebnis präsentiert: Wie ihn sein künstlerisches Streben und seine Erfülltheit von der Heiligkeit seiner Tätigkeit in ihrem Zusammenprallen mit der lächerlichen menschlichen Körperlichkeit, mit seinen profanen Verpflichtungen als Ehemann, Familienvater, Berufsmusiker zu einen ‚fröhlichen Nihilisten‘ gemacht haben, wie er sich in einem durchaus radikalen Akt von allen Klischees und überzogenen Vorstellungen der Welt der Musik und der Kunst befreit hat, um unverstellt und unverkrampft daran zu arbeiten, die eigenen Empfindungen, das eigene Leben in Musik zu übersetzen.

Kaum je macht Townsend den Eindruck, mit vorgefertigten Phrasen zu antworten, vom mühsamen Entziffern der handgeschriebenen Fragezettel bis zur Auskunft darüber, wie er mit Depression und social anxiety geplagt sei, und welches Meerestier er gerne wäre (ein Oktopus), bis hin zu Auskünften darüber, wie ihn der selbst auferlegte Zwang, stets der flashy guy on stage sein zu müssen, über die vergangenen Jahre seiner selbst entfremdet hat, scheint er um nichts als Ehrlichkeit bemüht zu sein.

So kommt trotz der hohen Dichte an Scherzfragen, Anfragen für Auftritte auf Hochzeiten, oder wilden Theorien über Zitoid und seine Freunde ein interessanter, bisweilen tiefgehender Monolog zustande, der natürlich durchzogen ist von Townsends einzigartiger Komik, die, wie wohl alles an diesem Mann, aus dem Bauch heraus und von Hundertsten ins Tausendste schießt.

Das Leben, führt Townsend in seiner kindlichen Freude an Fäkalmetaphorik aus, sei ein Becken aus Scheiße – da muss man durch, auf dem Weg zum Tod, oder zur Transzendenz. Und was durch dieses Bemühen in die Höhe und über das Becken hinaus schwappt, das ist die Kunst, das sind die rund 30 Alben des Devin Townsend

Setlist: Heart Baby / Let It Roll / Funeral / Coast / Deadhead / Solar Winds / Love? / Ih-Ah! / Divine / Hyperdrive / Thing Beyond Things / TerminalZugabe: Life

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Bericht: Tobias Jehle
Fotos: Martin Schröter