1741 komponierte Georg Friedrich Händel das Stück „Messiah“, aus einer Not heraus. Da seine Opern keinen Anklang mehr fanden, beschloss er, kirchliche Oratorien zu komponieren und schrieb damit das wohl berühmteste kirchliche Musikstück aller Zeiten. Nun wurde es am 10. Oktober 2019 im Gärtnerplatztheater als erste Premiere der neuen Spielzeit wieder aufgeführt – nicht nur als Oratorium, sondern mit viel mehr; und das zahlt sich aus.
Denn unter der Regie von Thorsten Fischer ist es wirklich gelungen, dieses alte Stück in die Gegenwart zu übertragen, ohne es zu verfälschen, dabei aber doch aus einer ganz anderen Perspektive bertrachtet. Die Geschichte über den Erlöser der Menschheit wird diesmal nicht aus der gewohnten Sicht erzählt, sondern direkt von dessen Mutter, Maria. Von Colm Toibin wurde diese nämlich in seinem Buch „Marias Testament“ beschrieben und geschrieben, und an diesen Texten orientiert sich nun auch das Gärtnerplatztheater. Dabei bleibt die Story eigentlich identisch und ist auch schnell erzählt: Der Sohn Marias hält sich für den Sohn Gottes, wird von den Menschen geliebt, verspottet, verehrt und schließlich zum Tode verurteilt. Das alles nimmt Maria aus der Perspektive einer Mutter wahr, die leidet unter den Qualen, die ihr Sohn aushalten muss und die er so freiwillig für die Menschen erträgt. Auf dem Sterbebett kommt sie zu der Erkenntnis, dass, selbst wenn er wirklich der Erlöser der Menschheit war, es all das dennoch nicht wert war.
Die Geschichte wird dabei von Maria (Sandra Cervik) in direkter Rede erzählt, während alle anderen Personen das Original von Händel singen. Dabei entsteht ein gewollter und funktionierender Kontrast zwischen damals und heute, zwischen Weissagung und Realität. Die glorreichen Sprüche aus dem Alten Testament, die wirklich hervorragend von Ensemble und Chor vorgetragen werden, stehen dabei im extremen Kontrast zu den Qualen Marias und schaffen es nicht nur thematisch, sondern auch technisch das Stück in die heutige Zeit zu übertragen, da es durch die Sprechparts effektiv aufgelockert wird. Auch der Tanz und das Schauspiel vermögen zu begeistern, stellen entweder das Besungene nochmals dar oder interpretieren andere Richtungen. Dabei spielt das ganze Stück mit Bildern, die im Kopf bleiben: Ob es nun Maria ist, mit Blumen behangen und strahlend wie ein Weihnachtsbaum, oder Jesus, Maschinengewehre haltend und auf einem Berg Laptops trohnend, während Geld vom Himmel fällt und vom Chor das weltberühmte „Halleluja“ ertönt. Es sind zwiegespaltene, verzerrte Bilder, die gezeigt werden und nach dem Leitmotiv des Stückes „Apokalypse“ laufen. Nichts ist klar, nichts wird aufgeklärt, es bleibt verschwommen, und zum Schluss muss jeder selbst zu einem Ergebnis kommen.
Kritik: Cedric Lipsdorf