„Mir geht’s grad nicht so gut“ – „Der eingebildete Kranke oder das Klistier der reinen Vernunft“ im Residenztheater (Kritik)

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An Molières „Der eingebildete Kranke“ kommt man wohl schwerlich vorbei, zumeist noch nicht einmal in der Schule, spätestens dann aber in der Theaterlandschaft entkommt man der Komödie auf der Bühne nicht mehr. Dabei ist der reine Text relativ zäh und gar nicht mal allzu besonders, weswegen das Residenztheater wohl auch eine Textneufassung von PeterLicht in Auftrag gegeben hat, was sich titelmäßig in „Der eingebildete Kranke oder das Klistier der reinen Vernunft“ äußert. Wie das alles dann auf der großen Bühne im Staatsschauspiel aussieht, konnte man an der Premiere am 20. Dezember 2019 begutachten.

© Sandra Then

Die Uraufführung in dieser Form präsentiert alle Rezepte, die in Basel wunderbar funktioniert haben, nun in München. Angefangen mit PeterLicht, der unlängst Ende April im Hansa 39 als Musiker sein Gastspiel in der bayerischen Landeshauptstadt feierte und nun erstmals hier als Theatertexter und Komponist der Musik in Erscheinung tritt, weitergeführt mit Florian von Manteuffel, in der Hauptrolle des Argan, Argi genannt, des (vermeintlich) Kranken. Exakt das gab es in Basel bereits mit Molières „Tartuffe“ zu sehen, wobei die Inszenierung von Claudia Bauer, die sich auch hier wieder verantwortlich zeigt, sogar zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde. Auf den ersten Blick ähnelt sich die Bühnenstruktur recht stark, auch die Leinwand mit Live-Kamera ist wieder vorhanden und selbst auf die bewusst überzogenen Barock-Kostüme inklusive Allongeperücken in androgynem Auftreten wird nicht verzichtet. Ist es also letztendlich einfach nur ein Versuch, den Erfolg zu wiederholen?

Zum Glück nicht ganz, wenngleich sich die Parallelen nur so häufen. „Der eingebildete Kranke“ ist dafür viel zu handlungslos, um ihn in ein Gesamtkonzept einzubetten – eher besteht die Kunst hierbei, möglichst viele Ideen einfließen zu lassen, um einen Theaterabend modern zu gestalten. Der dauerfluchende Argi, dem es eben grad nicht so gut geht, liegt also da und lässt im Dauerfeuer von seinem „Team“ bemitleiden, zumindest möchte er darauf hinaus. Seine Frau Béline (Pia Händler), sein Bruder Béralde (Thomas Lettow) oder auch seine Tochter Angélique (großartig überzogen: Antonia Münchow) wollen aber etwas jeweils anderes und reden ihm aus, dass er eine Krankheit hätte – man müsse ja wissen, was man hat, wenn man was hat. Und kann man überhaupt etwas haben, wenn man alles hat, was man haben kann? So recht ernst nimmt den cholerischen Superstar niemand, das Publikum auch nicht – er wirkt eher wie das Inbild des immersatten, reichen Ich-hab-alles-also-fehlt-mir-was-Männchen, der nur nach Aufmerksamkeit strebt. „Ich bin weiß. Ich bin alt. Ich bin ein Mann. Ich werde sterben. Schönen Abend noch! Sie können wieder nach Hause gehen“, sagt er zu Beginn.

© Sandra Then

Bauers Inszenierung lebt von der Geschwindigkeit, dem präsenten Einsatz der wortwilden Mono, -Dia- und Polyloge von PeterLicht – und natürlich auch von der beachtlichen Bühne von Andreas Auerbach. 135 Minuten ohne Pause sind allerdings auch ein ordentlicher Brocken für ein Stück, das ohne Handlung auskommt (und das von sich auch mehrfach sagt). Zwar gelingt die meiste Situationskomik und das Publikum ist amüsiert – dennoch nutzen sich die immergleichen Wortspielchen gen Ende doch zu sehr ab, dass noch die gleichen Schmunzelstürme durch die Zuschauerreihen streifen, wie vor einer Stunde geschehen. Einführungen wie die des Doktors Purgon, grandios gespielt von Christoph Franken, halten das Amüsement aber auf einem unterhaltsamen Level. Am Ende der große Auftritt des Jammernden, nun muss er raus – und das gleiche Ende wie in der Vorstellung am 17. Februar 1673, als Molière selbst die Rolle des Argan übernimmt. Scheinbar hatte er doch was, der Argi.

Kritik: Ludwig Stadler