Schreckensherrschaft, Angst und rote Flugblätter – „Dantons Tod“ am Gärtnerplatztheater (Kritik)

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Spätestens seit dem durchschlagenden Erfolg der Salzburger Uraufführung von „Dantons Tod“ 1947 ist Gottfried von Einem eine Größe in der österreichischen und internationalen Opernwelt. Das erbarmungslose Drama Georg Büchners bot dem österreichischen Komponisten eine ideale Möglichkeit, sich mit faschistischen Herrschaftsstrukturen auseinanderzusetzen. Der Wiederkehr seines 100. Geburtstages ist es zu verdanken, dass das Münchener Gärtnerplatztheater – jetzt – diesen Durchbruchserfolg auf die Bühne zurückgeholt hat. Der Publikumserfolg der Stunde Null nach dem Nationalsozialismus und der Aufbruch in eine demokratische Musikkultur.

© Christian POGO ZACH

Am Abend des 19. Oktobers 2018 wird das Münchener Publikum von jungen Männern bereits im Zuschauerraum empfangen. Rote Flugblätter kleben diese zu Dutzenden an die Eingangstüren und rattern dabei in einer Endlosschleife politische Parolen herunter, während das Publikum seine Sitzplätze sucht.
Die von Sona MacDonald hervorragend gespielte Julie erhält die ersten Sätze: „Morgen bist du eine leere Bouteille, der Wein ist ausgetrunken“. Die Gattin Dantons schreit mit weit aufgerissenen Augen auf die Zuschauer nieder. „Morgen bist du eine durchgerutschte Hose. Du wirst in die Garderobe geworfen und die Motten werden dich fressen, du magst stinken, wie du willst.“ Die Schlechtigkeit der Welt muss verkündet werden. Und das mit einer großen Portion Schmerz.

Nach der Französischen Revolution versinkt das Land in Chaos und Gewalt, angestachelt durch Robespierre und Saint-Just. Die alten Helden der Revolution, unter ihnen Georges Danton, haben sich hingegen aus der Politik zurückgezogen und geben sich genussvoll dem Spiel und der Liebe hin. Doch Robespierre will die Gleichheit aller Menschen mit Gewalt und Terror durchsetzen.
Zeiten der Angst. Aber in welcher Zeit befinden wir uns eigentlich gerade. Paris, 1794? Nazideutschland? Oder doch im Jahre 2018? Regisseur Günter Krämer möchte darauf keine Antwort geben. Krämer und Bühnenbildner Herbert Schäfer setzen eine rotierende, mal mit Text, mal mit schattenhaften Umrissen bedeckte, riesige Stahl-Draht-Wand in den Mittelpunkt (mit genügend Platz zum revolutionären (oder konterrevolutionären) Schwadronieren) und verzichten auf jegliche genaue historische Zuweisung. Isabel Glathars Kostüme mischen Revolutionszeit, Belle Époque und mittleres zwanzigstes Jahrhundert. Der von Daniel Prohaska wunderbar schmierig gesungene Tenor Robespierre ist ein gegenwärtiger Populist mit schwarzer Käppi, weißem Hemd und schwarzer Krawatte (und erinnert damit leicht an einen Kaufhaus-Security).

Danton prophezeit: „Die Statue der Freiheit ist noch nicht gegossen!“ Unweigerlich lassen sich Parallelen zur aktuellen Situation in Deutschland erkennen, indem der Chor den Menschenmob zeigt, der auf die Straße geht und angestaute Wut und Unzufriedenheit an Unschuldigen auslässt. Die geballte Stimmgewalt und Präsenz des Chores samt Extra-Chor sind definitiv das Highlight dieser Inszenierung. Vor allem, wenn sie bei der Gerichtsverhandlung gegen Danton von den Rängen als zwei Lager in den Zuschauerraum hinab singen. Ein echtes akustisches Erlebnis! Allgemein ist die Grenze zwischen Zuschauer und Bühne sehr fließend in dieser Produktion. Wie ein Blutregen fallen auf einmal die roten Plakate, diese Aufrufe zum aktiven Widerstand, bei der Hinrichtung Dantons und seiner Politgefährten ins Parkett.

© Christian POGO ZACH

Zur Pause gelingt ein weiteres tolles Bild: Wie zum Schafott gehen die französischen Revolutionäre um Georges Danton (Mathias Hausmann singt die Titelrolle als lauten und kraftvollen Bariton), Camille Desmoulins (der junge Tenor Alexandros Tsilogiannis ), Hérault de Séchelles (Juan Carlos Falcon) und Saint Just (Levente Páll) mit nacktem Oberkörper nach vorne. Sie legen sich rücklings auf einen schmalen, hell beleuchteten Neon-Tisch, lassen den Kopf über die Kante nach unten hängen und reißen den Mund auf. Danach stehen die so verletzbaren Männer im Gefängnis – nun nur noch mit Unterhose bekleidet – eng zusammengepfercht, suchen sie immer wieder die körperliche Nähe, schützen und trösten einander kameradschaftlich zärtlich, bevor diese Szene unmittelbar in das Tribunal übergeht.

So persönlich und liebevoll wirkt hier auch die Beziehung zwischen Camille und Lucile, dargestellt von Alexandros Tsilogiannis und Mária Celeng, die sich von Anfang an dem Kampf gegen das Terrorregime widmen, ohne sich vielleicht der Gefahr wirklich bewusst zu sein. Beide zeigen in ihren Figuren großen Idealismus und Energie, die den anderen Figuren der Inszenierung bereits verloren gegangen scheinen. Die Sopranistin Mária Celeng, als Lucile im roten Kleide, entgleitet in den Wahnsinn, angesichts des bevorstehenden Todes ihres Liebsten. Sie allein berührt emotional. Den ganzen Abend muss sie wie eine Verrückte rote Flugblätter (wie sie auch an die Eingangstüren geklebt sind) durch eine Druckerwalze kurbeln , bis im Finale eine Träne auf ihre Stimme tropfen darf. Als sie das „Lied vom Schnitter Tod“ anstimmt, mit Prohaska, der als Robespierre auch einen der beiden Henker übernimmt, schafft sie ein musikalisch starken Schluss. Ohne ihren Gatten Camille kann und will sie nicht mehr leben. Nach ihrem letzten Ausruf „Es lebe der König“ erstickt sie der Henker mit einem ihrer eigenen Flugblätter.

Es wird sowieso viel gebrüllt in dieser Oper, als ob alle Beteiligten gegen den ohrenbetäubenden Lärm der Geschichte anschreien (und ansingen). Ein Anklagen, Verteidigen und Scheitern. Das packende wie verstörende Werk auf der Bühne des Staatstheaters am Gärtnerplatz ist das Gegenteil von leichter Kost: eine verstörende, grausame Revolutionsgeschichte mit lauter moderner Musik. Das Publikum verträgt die Zumutung nicht nur, sie findet sie richtig gut. Den größten Applaus erntet jedoch der musikalische Leiter Anthony Bramall. Er dirigiert den vielbeschäftigten Chor, die Solisten und das Orchester sicher durch die vielen Klippen, die Gottfried von Einems so atemlos in der übereinandergeschichteten, sich kaum Pausen gönnenden Musik bereithält. Die Bläser zeigen Biss, die Streicher Rundungen. Sie finden in Piano und Forte die tonal-chromatischen Bezüge Einems zur Vergangenheit und dessen ungefährliche Bodenhaftung in gemäßigter Modernität.

Weitere Vorstellungen: November 1/4/15

Kritik: Carolina Felberbaum