10Ein wundervoller Sonntagabend, Sonnenschein und laue Luft – eigentlich der beste Anlass, um alle fünfe gerade sein zu lassen und sich ein gemütliches Plätzchen zu suchen, am besten draußen und in der Waagrechten. Der Name Amenra, der seit Monaten von Plakaten herab lockt, hat jedoch eine erkleckliche Zahl an Menschen motiviert, an diesem sechsten Mai 2018 das Hansa 39 (Feierwerk) aufzusuchen, und ihre Finger stattdessen zu „Skinny Fists“ zu ballen und sie „Like Antennas to Heaven“ zu recken – alles für die Post-Erleuchtung.
Ehe die belgische Mannschaft, die nicht umsonst eine gewisse Speerspitzen-Position innerhalb des Feldes von dunkel rollendem, negativ erhabenem und niederschmetternd erhebendem Hardcore/Black-/Doom-/Sludge Metal einnimmt, den ersehnten Illuminations-Fix darreicht, gehört die Bühne des um 20 Uhr recht vollen Feierwerk Myrkur. Das melodisch ausgerichtete, Folk-geschwängerte Black Metal-Projekt der Dänin Amalie Bruun war letzten November bereits als Support von Sólstafir in der Theaterfabrik zu sehen. Damals fiel auf, dass Myrkur – Bruun als schwarz gewandete Priesterin des Nordwinds (oder dergleichen), umgeben von ihren anonym verhüllten Musikern – nicht so recht zur lockeren, dynamischen Performance der Isländer von Sólstafir passen mochte. Interessant ist nun zu beobachten, wie sich die Bühnenpräsenz der Sängerin (und stellenweise Gitarristin) seit diesem Auftritt verändert hat: Dass der Mikrophonständer aus Totholz einem – wohl bei den nahen Bahngleisen „geernteten“ – belaubten Ast mit rosaroten Blüten weichen musste, mag vielleicht nur einer logistischen Notsituation entsprungen sein, ist aber bezeichnend dafür, wie sich Bruun heute präsentiert. An die Stelle von dunkel gefärbter Anmut ist deutlich die Verspieltheit einer launischen Prinzessin getreten, die Bruun sehr gut zu Gesicht steht. Auch die Entscheidung, auf eine direkte Beleuchtung zu verzichten und das Ganze in farbigem Dunst aufgehen zu lassen, stellt sich als goldrichtig heraus. „Man sagt, dass die Deutschen sich schwer tun, Emotionen zu zeigen. Das ist bei Euch nicht der Fall“, zeigt sich die Sängerin erfreut. Ja, ob des – wie nach all dem Reden über Äußeres betont werden muss – auch in musikalischer Hinsicht starken Auftritts der Band kann man sich in der Tat angetan zeigen. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass manche Grimasse nicht auf Rührung, sondern auf Ohrenschlackern ob des vor allem nahe der Bühne sehr unschönen Sounds zurückzuführen ist….
Setlist Myrkur: The Serpent / Ulvinde / Dybt I Skoven / Onde Børn / Jeg Er Guden / Elleskudt / Maneblôt / Skøgen / Skaði / Villeman (Volkslied)
Eine halbe Stunde, nachdem Myrkur ihr ca. einstündiges Set beendet haben, betreten die Protagonisten des Abends, die fünf Herren von Amenra die Bühne. Auch sie verzichten auf eine Spot-Beleuchtung der einzelnen Musiker. Anstatt sich aber mit Nebel und Farben zu verschleiern, benutzt die Band die gesamte Breite der rückwärtigen Bühnenwand als Projektionsfläche für Schwarzweiß-Clips. Das fragmentierte Licht der Beamer schafft eine eigentümliche, auch das Publikum in geisterhaft gestochene Helligkeitsflecken tauchende Atmosphäre. Parallel zum Visuellen glänzt auch der Sound durch Klarheit und Wucht. Nach einem ausgedehnten Intro geht es dann los – und hört für die nächsten 90 Minuten nicht mehr auf. Denn Amenra brechen ihre Show auf das absolut Wesentlichste herab: Die Musik. Keine Ansagen, auch keine nonverbale Kommunikation mit dem Publikum. Sänger Colin H. Van Eeckhout steht meist mit dem Rücken zum Publikum, sogar das eigentlich obligate „Thanks for coming“ kommt nicht von der Band, sondern aus dem Munde eines Fans. In der immer stickiger werdenden Hitze des vollen Zuschauerraumes verschwimmen die dargebotenen Songs zu einem einzigen, im Spannungsfeld zwischen Introspektion und Eruption atmenden Klumpen Musik, zu dem sich in der Tat trefflich die Fäuste dem immerwährenden Licht entgegen strecken, das dritte Auge öffnen oder einfach nur die beiden normalen genießend schließen lassen. Ein solches Konzert ist natürlich wesentlich eine Sache der (emotionalen) Einlassung; mit anderen Worten: Amenra verlangen, indem sie die ihnen fast hautnah gegenüberstehenden Zuschauer, also die Konzertsituation als solche, ignorieren, einiges an Entgegenkommen seitens des Publikums. Diese Art eines Konzerts als „Ritual“ ist natürlich nichts Neues, die Konsequenz, mit der Amenra diese Schiene fahren, im Verbund mit der Tatsache, dass ihre Musik zwar nicht wirklich „anstrengend“ ist, aber auch keineswegs lächelnd und mit offenen Armen eine sich sofort erschließende Hook nach der anderen darreicht, fügt dem Genuss eine gewisse Herausforderung hinzu. Und wie bei einem Gottesdienst gibt es: natürlich keine Zugabe.
Die braucht es aber auch kaum nach diesem intensiven, fordernden und doch sehr mitreißenden Konzert.
Setlist Amenra: Boden / Plus Près De Toi (Closer To You) / Razoreater / Diaken / Thurifer et Clamor ad te Veniat / Nowena | 9.10 / Terziele / Am Kreuz / Silver Needle. Golden Nail
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