10. November 2022, 19 Uhr: Eine Stunde vor Konzertbeginn ist das Zenith schon dabei, sich gut zu füllen. Große weiße Lettern kündigen auf der Bühne stumm die Vorband des Abends an, und pünktlich um acht stürmen die KYTES aus München schwungvoll den Ort des Geschehens. Sie spielen sich enthusiastisch durch ihr Set, umschwärmt von gleich zwei Kameramännern. Dass die Jungs hier keine Unbekannten mehr sind, zeigt der warme Empfang, der ihnen seitens des Publikums erwiesen wird. Eine Halle in der Größe des Zenith zu bespielen ist allerdings ein Novum für die Band, die sich über diese Gelegenheit dankbar und glücklich zeigt. Die knapp zehn Indie- und Elektropop-Stücke der heute als Trio performenden Vierergruppe bedienen sich eingängiger genreüblicher Melodien und verdanken große Teile ihrer Vitalität der motivierten Präsenz der Band, insbesondere der von Sänger und Gitarrist Michael Spieler. Ohrwürmer wie »Runaway« machen verständlich, wie die Band nicht nur lokale Beliebtheit, sondern bereits diverse Preise wie 2016 den New Music Award gewinnen konnte.
Nach der Umbaupause treten die drei Bandmitglieder von Alt-J zu den Chemical Brothers (»Hey Boy Hey Girl«) auf der Bühne in Erscheinung. Auf diesen geschmeidigen Einstieg folgt eine holprige Anfangsphase mit teils übersteuerten und verzerrten Stimmen, die sich unharmonisch aneinanderschieben. Zweifel, ob Alt-J ihr eigenes, mit ihren erfolgreichen ersten Alben gesetztes Niveau noch halten können, kann die Band glücklicherweise im Verlauf des Abends zerstreuen. Nach einem Stück des jüngsten Albums »The Dream« (»Bane«) folgen mit »Tesselate«, und »Every Other Freckle« unfehlbare Hits mit Ohrwurmcharakter. Die Gesangspartien von Leadsänger und Gitarrist/Bassist Joe Newman und Gus Unger-Hamilton (Keyboard, Bass, Gesang) stimmen sich aufeinander ein und liefern ein Feuerwerk an Lieblingssongs aus allen vier Alben der Band ab. Auf ein visuelles Feuerwerk verzichtet man dankenswerterweise; statt raumgreifender Bewegtbild-Visuals setzt man auf einen dezent irrlichternden Sternenhimmel, bestehend aus von der Decke hängenden Glühbirnen, dazu feuern und funkeln seitliche und obere Spots sowie Lichtbänder am oberen und unteren Bühnenrand; es strömt und blitzt in überraschenden Farbkombinationen. Dies im Verbund mit wuchtigen, satten Basstönen bildet das immersive Bett, in dem die schrägen und unverwechselbaren Melodien der erfolgreichsten Alt-J-Stücke direkt in die Nervenbahnen strömen. Das Publikum ist hellwach und bei fast allen Songs von den ersten Tönen an dabei, klatscht im Rhythmus, singt enthusiastisch „This is from Matilda“ im Chor.
Die volle visuelle und klangliche Power überdeckt gnädig auch stimmliche Unsicherheiten bei den kniffligen, teils mönchisch-choralhaften zweistimmigen Gesangsparts, die zusammen mit der nasalen Stimme von Leadsänger Newman immerhin eines der Markenzeichen der Band ausmachen. Alt-J-Kenner:innen lassen sich auch nicht von der üblichen sparsamen Bühnenpräsenz abschrecken: Die schon von den ersten Auftritten der Gruppe an bekannte introvertierte Darbietung ohne nennenswerte Selbstinszenierung oder Kontaktaufnahme mit dem Publikum nimmt man der Band nicht weiter übel. Das Trio amüsiert sich lieber untereinander durch vertrauliche Gesten und Grimassen über verpatze Intros und spielt sonst routiniert seine Setlist durch. Ein eingespieltes Team, das sich natürlich auf der Bekanntheit seiner Songs ausruhen kann, aber auch darauf, dass diese in ihrer Eingängigkeit so vital und abwechslungsreich aufgebaut, von Brüchen und Stilwechseln geprägt sind, dass sie sich live wieder und wieder in ihrer Qualität bewähren. Die geschickte Mischung aus den allerersten Hits und aktuelleren Stücken sorgt dafür, dass sich jede:r im Publikum mindestens alle paar Songs abgeholt fühlen dürfte. Auch die Stücke des neuesten Albums werden ungebrochen wohlwollend aufgenommen. »The Dream« vereint in sich nach alter Alt-J-Manier verschiedenste Musikstile in schnellem Wechsel; von sanftem Gesangspart über Klavier zu düster-elektronischem Dröhnen (»Chicago«) hin zu einer beiläufigen Einspielung von Renaissance-Geklimper zu Electronic-Beats und Chorälen (»Philadelphia«).
Nach rund 100 Minuten verabschieden sich Alt-J von den umfassend befriedigten, mitunter euphorisierten Zuhörer:innen, die beständige subtile Anziehungskraft ihrer Musik einmal mehr unter Beweis gestellt habend. Manche Melodien wandern mit hinaus ins Freie, man hört sie, als Handy-Mitschnitt, oder leise vor sich hin gesungen.
Setlist: Bane / Every Other Freckle / The Actor / In Cold Blood / Deadcrush / Tessellate / U&ME / Matilda / Chicago / Something Good / 3WW / Bloodflood / Montreal / The Gospel of John Hurt / Delta / Philadelphia / Taro / Dissolve Me / Fitzpleasure // Left Hand Free / Hard Drive Gold / Breezeblocks