„If this group makes it I’ll have to commit suicide. From the first note you know you don’t want to hear any more. [W]atered down, tenth-rate Jethro Tull, only even more boring and inane“, ließ sich Rolling Stone-Kritikerin Melissa Mills anno 1970 über das Debütalbum einer britischen Band aus, die bis vor kurzem unter dem Namen Spice aufgetreten war und sich erst kürzlich nach einer Charles Dickens-Figur umbenannt hatte. Der Beweis, wie falsch auch profilierte KritikerInnen manchmal liegen können (und hoffentlich nicht der Grund für ein verfrühtes Dahinscheiden von Frau Mills) spielt heute, am 29. Oktober 2018 im Circus Krone: Uriah Heep, 49 Jahre und 25 Studioalben auf dem Buckel und noch immer nicht müde, ihre alten Hits zu spielen – und auch neue zu schreiben. Anlass der gegenwärtigen Tour, auf der München der erste Ortstermin in Deutschland ist: „Wir haben eine neue Platte!“, lässt Bernie Shaw, Heep-Sänger seit 1986, in bestem Deutsch verlauten, was nicht weiter verwundert, haben die Briten hierzulande doch mit ihre größte und treuste Anhängerschaft.
Uriah Heeps Supportband dagegen kommt auf dieser Tour zum allerersten Mal nach Deutschland, und das, obwohl sie sich noch länger im Musikgeschäft herumtreiben als jene. Ende der 50er Jahre formierte sich die Gruppe, die als The Zombies in Großbritannien und Amerika beachtliche Erfolge feiern sollte und mit „Odessey and Oracle“ dem Jahr 1968 ein Kultalbum schenkte. Anders als Uriah Heep, deren Besetzungskarussell sich zwar bisweilen gefährlich schnell drehte, die in Gitarrist Mick Box jedoch stets einen schier unverwüstlichen Fixstern hatten und haben, war den ebenfalls aus England stammenden Zombies keine solche Stabilität gewährt. Nachdem die Band praktisch seit Ende der 60er auf Eis lag, ist sie seit Mitte der 2000er wieder aktiv. Was kann man von dieser Band, diesen „Rock-Opis“ (angesichts der Tatsache, dass die Protagonisten der Zombies, Sänger Colin Blunstone und Keyboarder Rod Argent beide Jahrgang 1945 sind, ist diese Bezeichnung ziemlich unstrittig), die Anfang des Jahres den Tod ihres Bassisten Jim Rodford verschmerzen mussten, erwarten?
Und vielleicht gerade weil man die Zombies einfach nicht auf dem Schirm hatte, wird ihr einstündiger Auftritt zu einer großen positiven Überraschung. Sicher, den Radius seiner Hüftschwünge hat Blunstone auf ein vorsichtiges Minimum zurückgeschraubt, dafür präsentiert er sich stimmlich in Topform – und das nicht „angesichts seines Alters“, sondern allgemein! Und nicht nur er: Von der Frische und Spielfreude, die diese sehr untoten Rock-Urgesteine an den Tag legen, könnten sich viele jüngere Acts einiges abschauen. Wenn er sich nicht in bester Jon Lord-Manier seine Hammondorgel anpackt, erzählt Rod Argent nicht ohne Stolz, dass die Band mit ihrem 2015er Album „Still Got That Hunger“ erstmals eine Billboard-Chart-Platzierung erreicht habe. Gitarrist Tom Toomey nutzt eifrig jede Gelegenheit, um das Auditorium des vollbesetzten Circus Krone zum Mitklatschen zu animieren, ein Gefallen, den man den sympathischen Herren gerne erweist, die zwar mit Uriah Heeps opulentem, opernhaften Hardrock/Heavy Metal nicht viel am Hut haben, doch als Vorband in jedem Fall eine äußerst glückliche Wahl darstellen.
Setlist: Road Runner / I Want You Back Again / I Love You / Moving On / Edge Of The Rainbow / Care Of Cell 44 / This Will Be Our Year / Time Of The Season / Old And Wise (Alan Parson Project Cover) / Tell Her No / You’ve Really Got A Hold On Me / Bring It On Home To Me / Hold Your Head Up (Argent Cover) / She’s Not There
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Um halb zehn ist es dann soweit: Die Scheinwerfer in Russel Gilbrooks Double Bass Drums flackern auf und Uriah Heep beginnen ihr Set mit „Grazed By Heaven“. Agil bemächtigt sich Bernie Shaw des Mikrophons, seine recht heisere Performance während dieses Openers vom neuen Album lässt in keiner Weise auf die gesanglichen Leistungen, die der Mann im Verlauf des Abends noch erbringen wird, schließen. Mit dem anschließenden „Return To Fantasy“ taut nicht nur die Band, sondern auch das Publikum zunehmend auf, nach dem ebenfalls brandneuen „Living the Dream“ sorgen Uriah Heep mit „Too Scared to Run“, einem nicht einmal wirklich zwingenden Hit ihrer in ihrem riesigen Songkatalog für einen ersten Höhepunkt ihres Auftritts. In der Tat, mit Leichtigkeit könnten die Briten einen Abend allein mit ihren Erfolgen aus den 70ern und 80ern füllen, es ist ihnen jedoch ein sichtbares Anliegen, eben keine Band zu sein, die in regelmäßigen Abständen neues belangloses Material absondert, um einen Grund zu haben, vor ihren verbliebenen Fans auf Tour alte Kamellen abzuspulen. Mit sechs Songs stellt das aktuelle Album „Living the Dream“ fast die Hälfte der Setlist und macht mit seinem schwergewichtigen Hardrock auch neben den „unsterblichen“ Hits wie „Look at Yourself“ eine durchaus gute Figur. Und wenn Uriah Heep den Pflicht-Programmpunkt „Lady in Black“ einen solchen hätten sein lassen und stattdessen noch eines ihrer neuen Lieder gespielt hätten, es wäre kein Verlust gewesen…
„Without this man there would be no Uriah Heep“, sagt Bernie Shaw gewichtig und deutet auf Mick Box. Doch der Band-Chef ist weit davon entfernt, sich als solcher in den Mittelpunkt des Geschehens zu stellen und überlässt weitgehend Shaw die Show und die Publikumskommunikation, um sich – nicht ohne Emphase und sichtlicher Freude am Spiel wohlgemerkt – seiner Gitarre widmen zu können. Höchst „classy“ wirkt er mit seinem schlohweißen Schopf und der Sonnenbrille, wie ein Hardrock-Gandalf, der alle paar Jahre mit einer neuen Platte unter dem Arm an die Tür deiner Hobbithöhle klopft und dich mitnimmt auf ein Abenteuer voller Dämonen und Zauberern, Zauberern, die Geburtstag feiern, bildhübschen Zigeunermädchen mit eher ungemütlichen Vätern… Ja, auch den (chronologisch betrachtet) No. 1-Hit „Gypsy“ gibt es zu hören. Unter anderem hier muss man vor Bernie Shaw den Hut ziehen: Nicht nur entringt er seiner Kehle vor allem in den hohen Lagen Töne, nach deren Kraft und Reinheit sich ein Ian Gillan heute alle zehn Finger ablecken würde, sondern, die Songauswahl beweist es, er gibt sich auch nicht damit zufrieden, auf Sicherheit zu spielen und die hochfrequenten Klippen im Heep-Œuvre von vornherein zu umschiffen.
Mit „Gypsy“ sind Uriah Heep auf die Zielgerade eingebogen und feuern hintereinander „Look at Yourself“, „July Morning“ und „Easy Livin‘“ ab – spätestens bei letzterem Song hält es einige ZuschauerInnen nicht mehr auf ihren Sitzplätzen. Wen nicht im direkten Anschluss an die Euphorie das dringende Bedürfnis übermannt, noch vor allen anderen am Ausgang zu sein, der kann als Zugabe noch das opulente „Sunrise“ und den doch etwas lauwarmen Abschluss mit „Knocking at My Door“ erleben, ehe sich Uriah Heep unter großem Applaus verabschieden.
Muss man noch mal gesehen haben, vielleicht ist es das letzte Mal… Konzerte wie dieses werden stets von solcherlei Phrasen umschwirrt. Gut ist es, wenn man sich auf dem Heimweg inständig wünscht, die Band möge sich ihre Konsistenz und Gesundheit bewahren und das vielleicht letzte Mal zu einem mindestens vorletzten Mal machen.
Setlist: Grazed by Heaven / Return to Fantasy / Living the Dream / Too Scared to Run / Take Away My Soul / Rainbow Demon / Waters Flowin‘ / Lady in Black / Rocks in the Road / Gypsy / Look at Yourself / July Morning / Easy Livin‘ – Zugabe: Sunrise / Knocking at My Door
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Bericht: Tobias Jehle
Fotos: Martin Schröter