Es ist ein denkwürdiger Abend am Residenztheater, denn Intendant Martin Kušej präsentiert seine letzte Inszenierung am Hause des Bayerischen Staatsschauspiels, bevor er in der kommenden Spielzeit ins Burgtheater Wien wechselt. Ein wildes und verrücktes Finale soll es werden, nicht noch ein schwermütiges, stundenlanges Drama. Die Komödie sei in seiner Arbeit zu kurz gekommen, erzählt er. Und so hat er sich gleich eine der unbändigsten Bühnenkomödien der letzten Jahrzehnte herausgesucht: „Der nackte Wahnsinn“. Wie wahnsinnig das alles geworden ist und ob man letztendlich auch wirklich lachen konnte, haben wir uns an der Premiere am 19. Oktober 2018 angesehen.
Das gesamte Stück von Michael Frayn ist mehr oder weniger ein Stück im Stück. Die Kulisse entspricht einer üblichen Bühnenkulisse einer Innenansicht eines Hauses – perfekt für die Komödie „Nackte Tatsachen“, die versucht wird, irgendwie brauchbar auf die Bühne zu bringen. Das Szenario: die Generalprobe. Und wer hätte es gedacht: natürlich klappt absolut nichts so, wie es funktionieren soll. Norman Hacker als Regisseur verzweifelt an seinen unfähigen Darstellern, die wenige Stunden vor der Premiere weder Text noch Ablauf kennen, erzürnt sich an ihren Fehlern und wird am ehesten noch das, was man einen Antagonisten nennen könnte. In Anbetracht seiner Ensemble-Crew, die wohl jeden Inszenierenden auf die Palme bringen würde, kein großes Wunder: sie patzen durchgehend, lassen die Gegenstände einfach stehen oder wirken einfach vollkommen fehl am Platz. Hacker schreit und flucht seine Chaos-Truppe nieder (übrigens mit den tatsächlichen Namen der Darsteller) – und dennoch ist dieses erste Szenario noch das harmloseste.
Im zweiten Akt befindet sich „Nackte Tatsachen“ mitten auf Tour. Routine hat sich zwar eingependelt, nichtsdestotrotz haben sich die Akteure auf der Bühne allesamt in die Haare bekommen dank sexueller Irrungen und Wirrungen. Die Kulisse ist um 180° Grad gedreht, der Blickwinkel verschiebt sich. Das Stück läuft für das Publikum zum zweiten Mal ab, dieses Mal allerdings mit ordentlichem Treiben im Hintergrund.
Der dritte und letzte Akt ist die finale, abschließende Vorstellung. Hier klappt nun wirklich überhaupt nichts mehr, die Darsteller sind entweder total erschöpft oder bereits Alkoholiker. Der Wahnsinn mündet in der absoluten Eskalation. Wo auch sonst, vertraut man dem Titel und dem Versprechen von Kušej, dem Namen treu zu bleiben.
Selbst wenn man mit einigen Requisiten spielt, ist das knapp zweieinhalbstündige Vergnügen allen voran eines: Dialog- und Ensembletheater. Alles steht und fällt, wie auch beim Stück im Stück, durch die Schauspieler. Im Residenztheater braucht man sich hier keine Sorgen zu machen, bei Kušejs Auswahl erst recht nicht, denn jede Person passt perfekt in die Rolle und geht auf ihre oder seine Weise darin auf. Ganz besonders fabelhaft sind dabei Thomas Loibl mit großem, schwarzem Schnauzer und absoluter Tollpatschigkeit, genauso wie Sophie von Kessel als Hausdame Frau Klacker, deren Hauptaufgabe letztendlich darin besteht, ununterbrochen Sardinen auf die Bühne zu bringen. Prinzipiell haben hier aber jede und jeder die wunderbare Chance, endlich mal das komödiantische Talent auszupacken, bedenkt man die faktisch ausnahmslosen großen Dramen oder Tragödien auf der großen Resi-Bühne.
Textlich geht es teils messerscharf zu, etliche Wortwitze zünden genauso wie geplant, fast kein Gag geht daneben. Selten, wirklich ganz selten, funktioniert ein Witz nicht ganz so wie erhofft, aber der nächste folgt nur kurz darauf und schlägt beim dauerlachenden Publikum wieder bestens ein. Selbst Seitenhiebe auf die Nachbarn in der Maximilianstraße kann man sich nicht verkneifen, als der Regisseur nach dem tausendsten Textfehler zu Genija Rykova als Vicki sagt: „Wir wissen, dass du vom Haus gegenüber der Hauptstraße kommst, wo die Schauspieler ihre Texte selber schreiben“. Martin Kušej gelingt damit letztendlich genau das, was er wollte: eine irrsinnige und vor allem irrsinnig witzige Komödie, die einen bitter nötigen Kontrast zum üblichen Programm im Haupthaus bietet. Am Ende des ausufernden Schlussapplauses wirft Thomas Loibl übrigens eine Sardine ins Publikum. Konsequent.
Kritik: Ludwig Stadler