Bericht von Balthasar Wörner
Voll ist es auf dem Vorplatz des Circus Krone, denn ein ganz besonderer Teil des Rock`n´Roll-Theaters lädt zum Konzert: Jeff Beck gastiert nach vier Jahren wieder in der Manege des Krone-Baus, mitten im Herzen Münchens am 20. Juni 2018. Beck gilt als einer der besten Rockgitarristen der Geschichte, vom Rolling Stone als fünftbester Gitarrist aller Zeiten gelistet, und Besitzer von zahlreichen Grammys. Der neben Eric Clapton und Jimmy Page in den 60ern bei den „Yardbirds“ großgewordene Beck gilt als cholerisch und genialer Vordenker des E-Gitarrenspiels, der auch nach mehr als 50 Jahren nach seinem Durchbruch immer noch eine Größe ist, mit der man rechnen muss.
Einen Support-Act gibt es nicht, um Punkt 20 Uhr werden die Lichter im Zuschauerraum gelöscht und wie frisch von der Harley gestiegen betritt der schwarzhaarige Stargitarrist die Bühne – schwarze Weste mit Schlangen-Patch, lockeres weißes Unterhemdchen, Pilotenbrille. Es folgt kein großes „Hallo München“, lediglich ein kurzes Winken, ein fast schüchtern anmutendes Lächeln in die johlende Menge und schon ein Wimpernschlag später erbeben die runden Strukturen des ausverkauften Circus unter dem gewaltigen Opener-Riff. Becks glitzerndes Paillettenarmband schwingt zu den schnellen und doch lässig wirkenden Handbewegungen im Takt. Der anschließende Applaus wird lediglich mit einem Lächeln und einem Daumen nach oben kommentiert, es geht fast nahtlos weiter im Programm.
Beck überzeugt schnell durch seine einmaligen technischen Fertigkeiten – ohne Plektrum, aber mit viel Erfahrung und Können bringt er seine Gitarre zum Schreien und Kreischen. Die Bestätigung, dass Beck der unangefochtene Bandleader ist, lässt auch nicht lange auf sich warten: mit lässigen Armbewegungen und schwingendem Gitarrenhals gibt er die entscheidenden Einsätze und dirigiert die Band durch viele synkopische Passagen. Dass der hagere Engländer noch in dieser Woche seinen 74. Geburtstag feiern wird, merkt man ihm zumindest auf einer musikalischen Ebene nicht an.
Eine kleine Überraschung erlebt man auch schon gleich zu Beginn: Zu seinem üblichen Line-Up hat Beck auf dieser Tournee ein Cello hinzugefügt. Die junge Newcomerin Vanessa Freebairn-Smith nimmt hinter dem schwarz lackierten Instrument Platz. Zwar ist diese augenscheinlich die jüngste im Bunde (Publikum größtenteils mit eingeschlossen), mit dem Rest der absoluten Topbesetzung, welche Beck auf dieser Tour begleitet, kann sie musikalisch aber locker mithalten. Zu dieser gehören neben Sänger Jimmy Hall, mit welchem Beck schon seit den 80ern zusammenarbeitet, auch die langjährige Prince-Bassistin Rhonda Smith und der grandiose Vinnie Colaiuta am Schlagzeug. Letzterer wird, wie auch sein Bandleader, in der entsprechenden Top 100 Liste des Rolling Stone erwähnt, er trommelte bereits in den 70ern live und auf diversen Alben für Frank Zappa, später dann mit weiteren Größen wie Joni Mitchell, Herbie Hancock und nicht zuletzt Sting.
Die Band wirkt schon am siebten Konzert der Tour wie super eingespieltes Team: Das Timing stimmt, sie agieren als eine tighte Einheit, die die Freiräume, die ihnen der Bluesrock gibt, gut nutzt. Man hat Spaß daran, die Musiker bei Blickwechseln und Kommunikationsgesten zu beobachten, viele Passagen sind offensichtlich stark improvisiert, was auf keinen Fall negativ zu bewerten ist. Im Gegenteil: Was diese erfahrenen Künstler auf die Bühne bringen, wirkt frisch und unverbraucht. Eine Seltenheit unter den vielen Altrockern, die sich lieber für das Tourleben als das Altersheim entscheiden. Die musikalische Freiheit, die sich die Band nimmt, bringt natürlich auch mit sich, dass mal ein Schlag daneben geht. Inmitten von Colaiutas höchst anspruchsvollen Soli und Fill-Ins ist das auch kein Wunder. Sympathischerweise wird da auch gar kein Hehl daraus gemacht, es wird sich angelacht, vielsagende Blicke zugeworfen und schon sind die marginalen Ungenauigkeiten auch wieder vergessen. Lediglich beim dritten Song, dem ersten mit Sänger Jimmy Hall, enttäuscht dieser ein wenig. Auch, da seine Kollegen die Messlatte am Anfang schon sehr hoch angesetzt haben. Doch spätestens beim Cover von Sam Cookes „A Change Is Gonna Come“ entfaltet Hall eine Stimmgewalt, an die nur die wenigsten herankommen dürften und, in Kombination mit Becks einmaligem Gitarrenspiel, eben auch wegen seiner Cocker-ähnlichen Stimmbandschwingung einen der stärksten Titel eines starken Abends bildet.
Inmitten der „klassischen“ Rockbesetzung aus Bass, Schlagzeug und Gitarre greift während der hauptsächlich Instrumental gespielten Show auch das Konzept einer Cellistin auf der Bühne; es bringt Atmosphäre in die harten Klänge der Musizierenden. Wenn das Trio auch nur im Ansatz leer klingen könnte – in einer solchen Konstellation keine Seltenheit –, werden die kaum vorhandenen Lücken von Freebairn-Smith gekonnt geschlossen. An einigen Stellen doppelt sie auch die sowieso schon irrwitzig schnellen Gitarren-Licks. Ganz großes Kino.
Das Cello passt auch deshalb so gut, da man sich bei einem Giganten wie Beck eine zweite Gitarre gar nicht vorstellen möchte. Und dennoch greift die junge Kalifornierin an einer Stelle zu einer sogenannten Zwölfsaiter, einer Gitarre mit doppelt so vielen Saiten wie Usus. Und auch hier legt sie im Duett mit Beck die ideale Grundlage für ein gefühlvolles Solo des Engländers.
Nach leider nur knapp eineinhalb Stunden betritt das Quintett die Bühne für die Zugaben. Am Ende der sehr interessant gestalteten Setlist, welche neben Eigenkompositionen Becks, funkigem und feuerndem, auch Interpretationen von Smash Hits wie „Little Wing“ (The Jimi Hendrix Experience), „A Day in the Life“ (The Beatles) und „Superstition“ (Stevie Wonder) enthält, steht der Jeff Beck Group Klassiker „Going Down“ aus dem Jahr 1972. Die Musik schaukelt sich so hoch, dass man fast schreien möchte vor Wut über fehlende Stehplätze. Beim Schlussapplaus gibt es schon zum zweiten mal an diesem Abend Standing Ovations. Auch nachdem die Saallichter wieder angehen, wird weiter applaudiert. „So hab ich den Circus Krone noch nicht erlebt“, hört man jemanden sagen.
Bericht: Balthasar Wörner