Das Bühnenbild der kleinen Bühne (Elisabeth Pletzer) gleicht einer Wellblechhütte. Nur, dass sie nicht aus Blech sind, sondern aus milchig-durchscheinendem Hartplastik, das von der Decke hängt. Darin, wie in einer Reinigung, vakuumierte Kleidungsstücke, dazwischen die drei Darsteller. „Das blaue blaue Meer“ am Münchner Volkstheater erzählt Protagonist Darko (Mauricio Hölzemann) von seine Sehnsüchten außerhalb der Siedlung. Wann immer er mit der Dirne des Viertels- Motte (Lavinia Nowak)- spricht, gibt allerdings Jonathan Müller seine Stimme. Ab und an spricht der eine oder andere auch Elle, eher einen Bekannten, als Freund Darkos, oder Ulrike, die Darko heimlich oder eher offensichtlich bis unheimlich verehrt.
Dabei sind sie durch das milchige Plastik immer verschwommen, die an drei Seiten positionierten Zuschauer sehen sie nur undeutlich wie der durchschnittliche Theaterbesucher vermutlich die Klischeegestalten des sozialen Wohnungsbau auch sieht. Genau so eine Gestalt ist Darko, ein Säufer, Schulabbrecher, schwieriges Elternhaus, ständige Suizidversuche. Nis-Momme Stockmann versucht in seinem Stück das Innenleben solcher Menschen zu ergründen. Dem Text merkt man an, dass er auch Lyrik und Prosa schreibt. So gehen den Figuren auffallend wohlgeformte Worte durch den Kopf und über die Lippen.
Im Stück passiert so wenig wie in Darkos Leben, er streift zwischen den Wohnblocks entlang, ist getrieben und gelähmt von seiner sozialen Umgebung, seiner Alkoholsucht und den Neurosen. Dass er dann die ganze Zeit so hübsche und kluge Dinge denkt, ist etwas verwunderlich. Scheinbar sehen sich arme Menschen in einem Fjord nach der Flucht, nach den Sternen, dem blauen Meer, Norwegen… Regisseur Philip Klose, der aus ähnlichen Verhältnissen stammt, spricht daher zwar aus Erfahrung, nichtsdestotrotz wird das in der Inszenierung leider wenig ersichtlich und scheitert am teilweise zu kruden Originalgeschehen. So scheint die schlimmste Jugenderfahrung Stockmanns gewesen zu sein, dass ihm die Aufnahme in die lokale Feuerwehr der Heimatinsel Föhr verwehrt blieb, aufgrund der Sprachbarriere: Friesisch!
Könnte das Plastikkabinett also auf genau diese Art von Schaukastensituation anspielen? Verhalten und Konflikte der Figuren verweisen eindeutig auf das ausgezeichnete Buch „Engel und Joe“, welches bereits 2001 verfilmt wurde. Eventuell eine Vorlage? Im Laufe des kurzweiligen Abends streift die Handlung die Geschichten verschiedener Verlierer, diese hat Klose symbolisch an den Kleiderständern im Raum verteilt. Mit der Zeit öffnet sich das Gefängnis dann doch, die Platten werden zur Seite geschoben, der Blick wird frei auf die Spieler. Sie tragen hautfarbene Anzüge, sind den Blicken der Zuschauer symbolisch ausgeliefert und damit durchschaubar, wie ihre Charaktere, ein selbstkritisches Kostüm!
Dass Mottes „Narben“ mit Nähten auf dem Stoff dargestellt sind, liegt allerdings ziemlich auf der Hand. So wie einiges an dem Abend. Die Kunststoffstreifen auf Müllers Oberteil reflektieren das Licht besser als Darko seine Lebenssituation, und das mehrmalige Überstreifen neuer, transparenter Kleidungsstücke lässt Hölzemanns Kostüm vielschichtiger werden als die Figur, die es kleiden soll. Mit viel Ernsthaftigkeit versuchen die Schauspieler die Tragik der Figuren zu verdeutlichen. Da diese Spielweise aber die gesamte Zeit aufrecht erhalten wird, kommt es zu kaum Abwechslung oder Wendungen. Das Licht beleuchtet teilweise von oben die Szenen oder strahlt grell und kalt von den Wänden, hinter den Zuschauern in den Raum, als würde ein Scheinwerfer auf den sozialen Brennpunk gelegt. Das gebrüllte Plädoyer dafür, dass „man“ doch gar nicht Schuld sei an der eigenen Situation und zu Unrecht auf soziale „Verlierer“ herabgeschaut würde, kommt da wenig überraschend.
Insgesamt ist Kloses Inszenierung ganz im Trend: wenig Bling-Bling, wenig Bühnenbild, etwas futuristisch, die Schauspieler auf ihre Körperlichkeit reduziert. All das sieht man derzeit selbst an der Studiobühne der LMU-Theaterwissenschaft, wo Klose seine Wurzeln hat. Insgesamt haben Kostüm, Bühnenbild, Musik, Licht, Schauspieler, einfach alle einen guten Job gemacht. Das Ergebnis überzeugt dennoch nicht recht, weil es wenig innovativ ist. Schlussendlich sehen Regisseur und Autor nämlich diesen Mikrokosmos wie die Zuschauer die Darsteller: von außen und verschwommen.
Kritik: Jana Taendler