Das kulturelle Erbe der Münchner Kammerspiele! Bertolt Brechts „Trommeln in der Nacht“ wurde hier 1922 uraufgeführt. Und 2017 dann reproduziert?
Anspielungen, Zitate, Tonaufnahmen – diese Inszenierung ist vollgestopft mit Verweisen. Die brecht‘sche Bühnenmaschinerie, die Bühnenarbeiter, welche die Kulissen auf- und wieder abbauen, werden nicht versteckt. Brecht wollte damit ursprünglich den Zuschauer zum Analysieren anregen; dass man durch den V-Effekt auch sieht, wie aus dem Nichts Theater entsteht, ist umso schöner.
Das Dilemma ist dabei ganz einfach:
Als Andreas Kragler aus vier Jahren Gefangenschaft nach dem ersten Weltkrieg zurückkehrt, war vor allen den Eltern seiner Verlobten Anna das Warten zu lang geworden. Kragler platzt in die Verlobungsfeier von ihr und dem geschniegelten Mur, den sie nun heiraten soll und der sie schon begattet hat. Er kämpft um sie, sie erkennt ihn kaum wieder, Eltern und Mur sprühen Gift gegen ihn. Er geht, will sich dem durch die Stadt tobenden Spartakusaufstand anschließen.
Das Bühnenbild von 1922 ist rekonstruiert, man erkennt, dass es sich nur um Holzteile handelt statt um Wände.
Als der geschlagene Soldat vor diesen aber provoziert und verhöhnt wird, versteht man sofort, was Brecht vor 95 Jahren kritisiert hat. Und wird sauer. Der aus dem Krieg kommende Soldat wird sogar in der Heimat verstoßen. Die, die den Krieg unversehrt überstanden haben, machen sich ein schönes Leben.
Ich kann mich in den verzweifelten Andreas hinein fühlen, ich sehe die Ungerechtigkeit genau! Das Schauspiel von Christian Löbert (Kragler) und Nils Kahnwald (Mur) ermöglichen es.
Damian Rebgetz wirkt als freies Radikal zwischen den Schauspielern. Oft kommentiert er mit Gesang, manchmal greift er ein und spricht auch mit den Figuren; dabei lockert er die Situation oft auf, ist unheimlich witzig, zerstört aber nie die Energie, die gefühlvollen Momente, die sich zwischen den Figuren entwickeln.
Regisseur Christopher Rüping geht gewissenhaft mit seinen Spielern um, lässt sie nicht einfach auftreten und abgehen, sondern choreografiert sie so, dass ein spannendes Gesamtbild aus ihnen, der Bühne und dem Licht entsteht.
Auf der Bühne kann sich Jonathan Mertz trotzdem noch austoben. Nach den historischen Bezügen folgen grelle Lichtsäulen, die von der Decke gleiten, futuristische Kostüme im Kampf der Spartakusaufständischen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf der Bühne?
Brecht wollte nicht, dass der Zuschauer das Heuldarma bekommt, das er sich wünschte. Er wollte nicht, dass man so romantisch glotzen würde. Darum wird zum Schluss die Holzkulisse in den Häcksler gestopft. Auf offener Bühne. Ein absolutes geniales Statement.
Fazit: Ergreifende Momente, absurde Lacher, gute Musik! Eine „Wiederaufnahme“, die der fast 100 Jahre alten Vorlage verdammt gerecht wird.
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