Ein Kommentar von Ludwig Stadler
Mittwochabend, 6. Dezember 2017, 19:15 Uhr. Es ist stockfinster und arschkalt. Warme Gedanken kommen einem trotzdem in der Warteschlange zur Muffathalle, wenn man daran denkt, wer da gleich auf der Bühne stehen wird: Milky Chance. Die beiden Jungs aus Kassel haben 2012 mit „Stolen Dance“ einen weltweiten Internet-Hit erreicht und sind seitdem international immens erfolgreich unterwegs. Umso überraschenderweise, dass ihre ersten deutschen Headliner-Daten seit einigen Jahren so verhältnismäßig kleine Hallen sind, die dementsprechend schnell ausverkauft waren. Zwar gab es schnell großen Hallen-Nachschub für Frühjahr 2018, im kleineren Rahmen ist und bleibt es aber schöner.
Auch wenn ich mich wieder etwas angenehm an die Seite verkrümeln will, zerrt mich meine Begleitung in die zweite Reihe. Na super, denke ich mir, jetzt darf ich auch noch die ganze Zeit mitmachen, und wie soll ich mir jetzt eigentlich meine Notizen machen, zwischen all den Hardcore-Fans? Bevor ich dafür eine Lösung finde, stöpselt Kim Churchill bereits seine Gitarre an. Der Australier übernimmt den Support auf der Tour und will sogleich motiviert mit dem ersten Song „What I’m Missing“ loslegen, als er schnell bemerkt, dass dies mit einer Banane als Mikrofon wohl ziemlich schwer wird. Letzter Tag der Tour, da dürfen die obligatorischen Streiche natürlich nicht fehlen. Später im Set sollte auch noch ein Nikolaus über die Bühne tanzen, was die Musiker bis zum Ende ihrer Show nicht mehr aus dem Lachen bringt.
Churchill, barfuß und ein wenig wie ein Öko auf Singer/Songwriter-Trip, mit seinen beiden Percussionisten spielt seine ausgefallenen, aber doch ordentlich massentauglichen Songs mit so viel Leidenschaft und Elan, dass man automatisch einfach mitmachen muss. Dabei macht es ihm auch nichts aus, mal zeitgleich Gitarre, Mundharmonika und Base-Drum zu spielen – eine respektable Leistung. Der 30-minütige Auftritt scheint vom Headliner des Abends nur schwer zu toppen, der lautstarke Beifall ist absolut gerechtfertigt.
Setlist: What I’m Missing / Whole Entire / Goes Away / Single Spark / Second Hand Car / Canopy / Window To The Sky
21:30 Uhr, auf die Sekunde genau, geht das Licht aus und Milky Chance betreten, gemeinsam mit zwei Live-Musikern die Bühne, um mit „Clouds“ ihre Set zu starten. Der erste Punkt, der mich gleich zu Beginn überrascht: die Musik klingt live tausendmal mitreißender als auf Platte. Da werden die sentimentalen und gemächlichen Songs schnell zu einem Ungetüm aus tanzbaren Beat und ausgefeilter Gitarrenmusik. Und ja, selbstverständlich auch aus der Stimme von Frontmann Clemens Rehbein. Als dieser anfängt zu singen, beginnt ein Elyas M’Barek-Verschnitt in seinen besten Zwanzigern wenige Meter neben mir zu weinen und hört damit auch bis Ende des Konzerts nicht mehr auf. Aus purer Freude, endlich diese Band, endlich diese Musik, endlich diese Stimme live zu erleben. Als außenstehende Instanz mag das ein wirklich kruder Anblick gewesen sein, aber während die Band mit „Ego“ und „Blossom“ vor sich hin spielt und man langsam aber sicher selbst in der Musik versinkt, kann man ihn nur allzu gut verstehen.
Eigentlich hatte ich wirklich fast nichts mit Milky Chance am Hut. Natürlich hat man „Stolen Dance“ mitbekommen und natürlich kommt man jetzt nicht an „Cocoon“ im Radio vorbei, aber so wirklich wahrgenommen habe ich die Gruppe durch den Soundtrack vom Film „Die Mitte der Welt“. Rehbein hat dort eine überraschend große Gastrolle übernommen und kurzerhand „Down By The River“ als Film-Titeltrack beigesteuert. Und vollkommen unabhängig vom fantastischen Film hat dieses Lied so eine Wucht, so eine Macht entfacht, dass man sich dem Bann der Band kaum entziehen kann. Auch, als das Stück im Muffatwerk gespielt wird, drückt zwar der Bass ordentlich, an Glanz hat es aber nichts verloren.
Es ist wahrscheinlich richtig, dass die Lieder sich teilweise doch ziemlich ähneln und hin und wieder Langeweile bei den Melodien entstehen, aber um dem vorzubeugen, habe ich bei „Fairytale“ einfach mal die Augen geschlossen und mich von der Musik leiten lassen. Und es funktionierte. Der Rhythmus, so klischeehaft wie das klingen mag, treibt einen weiter zu jedem Lied, man möchte am besten gar nicht mehr aufhören, sich zu den Klängen zu bewegen.
Dabei wirkt Rehbein, trotz inzwischen jahrelanger Bühnenerfahrung, immer noch wahnsinnig unbeholfen bei den Ansagen. Ein „Hey München, wie geht’s euch?“ kommt fast schon schüchtern, die Bitte zum Mitfeiern des Tourabschlusses wird vom Publikum als pure Selbstverständlichkeit aufgefasst. Sympathisch bleiben er und seine Mitmusiker aber durchgehend, auch, als nach „Bad Things“ spontan den (mindestens) zwei Geburtstagskindern ein Ständchen der ganzen Muffathalle gesungen wurde (eine davon war übrigens die Freundin des tränenreichen Mannes, der daraufhin noch tränenreicher wurde). „Im Februar haben viele Geburtstag“, sagt er daraufhin. Das Publikum lacht, erst dann merkt Rehbein seine Orientierungslosigkeit. Als es Richtung Ende des Konzertes geht, schreit das Publikum etliche Songwünsche gen Bühne, lustigerweise auch die ersten Zugabe-Rufe; der Frontmann daraufhin nur überfordert lächelnd: „Das ist hier kein Wunschkonzert“. Alle lachen.
Als die Zugaben dann wirklich kommen, wird absolute Stille gefordert. Und tatsächlich, es klappt. Fast vollkommen unverstärkt wird der wunderschöne Song „The Dreamer“ von The Tallest Man On Earth dargeboten, ein Glanzstück an Musik. Gegen Ende wird die zweite Akustik-Gitarre allerdings arg schief, woraufhin beide lachend abbrechen „Manchmal sind Dinge im Leben nicht immer so gerade wie man denkt, zum Beispiel Gitarren“, witzelt Rehbein. Recht hat er.
Mit „Sweet Sun“, einem doppelten Mundharmonika-Solo-Battle von Kim Churchill und Antonio Greger, einem rumhüpfenden Nikolaus, Rehbein auf dem Boden liegend und der Rest komplett in Ekstase das Lied spielend, findet der Abend ein fantastisches Ende nach rund 105 Minuten Konzert. Ein würdiger Tour-Abschluss, ein wahnsinnig starkes Konzert. Und ein in der Muffathalle abermals perfekter Sound. Könnte es besser sein? Nein, ich glaube nicht.
Milky Chance kommen nächstes Jahr wieder! Am 25. Februar 2018 im Zenith, Tickets gibt es HIER!
Kommentar: Ludwig Stadler
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