Wie feiert man wohl einen 25. Bandgeburtstag würdig? Hätte man die Emil Bulls dazu im Jahr 2020 gefragt, wäre es eine große Show im Zenith geworden, gemeinsam mit namhaften Special Guests und einem sicherlich einmaligen Konzert. Doch pandemische Jahre grätschten dazwischen, die Jahre wurden mehr und mit zwei Jahren Verspätung begibt sich die Münchner Metal-Institution nun doch noch auf 25+2 Jahre-Tour. Aus dem Zenith-Konzert wurden letztendlich zwei Folgeabende im Wohnzimmer der Bulls, dem Backstage Werk – brechend voll, wie es zum traditionellen Bulls Bash üblich ist. Wir haben beide Abende, den 9. & 10. Dezember 2022 besucht.
9. Dezember 2022
Der Einlass läuft bereits seit einer Stunde, die Arena des Backstage Werks füllt sich gemächlich. Das erste Konzert ist die Zusatzshow, erst am Folgeabend sind die Karten für die ursprüngliche Zenith-Show gültig – das disqualifiziert aber natürlich das Publikum noch lange nicht als Fans zweiter Reihe, denn die meisten haben hier das Ticket auch schon seit 2021 auf dem Tisch liegen. Eine nennenswerte Anzahl beehrt die Bands auch beide Abende – am spannendsten dürfte daher das Opening sein, denn The Disaster Area spielen nur am ersten Tag. Die aufstrebenden Metal-Barden adaptieren einen angenehmen Sound zwischen Architects und Bring Me The Horizon und bringen ein ordentliches Soundbild auf die Bühne, können die Anwesenden aber nicht so richtig in den Bann ziehen.
Etwas besser klappt das mit VENUES, die beide Abende den Platz vor den Bulls einnehmen. Ihre Mischung aus harten Riffs, ordentlichem Pop-Punk-Einschlag und mächtigen Melodien im Refrain weiß zu gefallen und bringt die Menge zum Bewegen. Besonders Frontfrau Lela Gruber beeindruckt mit einer ausdrucksstarken und wandelbaren Gesangsstimme, die auch in den höchsten Tönen noch stabil und kräftig durch das Soundgefüge strahlt. Der Härtegrad innerhalb ihrer neun Songs-langen und an beiden Abenden identischen Setlist zieht dabei deutlich an – während zu Beginn noch die rockigen Klänge vorherrschen, wird spätestens mit der neuesten Single „Reflections“ die härtere Hälfte der Setlist eingeleitet. Einziger Kritikpunkt sind die gutturalen Vocals von Robin Baumann, dem zweiten Teil der Doppel-Vocal-Spitze – im Gegensatz zur überdurchschnittlich starken Clean-Stimme von Lela fallen diese Gesangspart doch deutlich ab.
Setlist: Rite Of Passage / Deceptive Faces / Ignite / Shifting Colors / Reflecitons / Uncaged Birds / Cravings / Whydah Gally / We Are One
Lange lassen sich die Emil Bulls nicht bitten, nach flottem Umbau scheppert bereits Manowars „The Crown And The Ring“ durch die Boxen und kündigt das baldige Erscheinen der Band an. Um 21:35 Uhr brettert das Quintett nach dem Fallen des Vorhangs mit „The Ninth Wave“ auch gleich ordentlich los, mit ihnen ein Moshpit, der zwar zu Beginn noch etwas verhalten, aber im Verhältnis nun schon überdurchschnittlich groß ist. Da herrscht Begeisterung, da sprudelt die Vorfreude vom Ticketkauf zum Karteneinlösen deutlich aus den rund 1.500 Besuchern des Werks heraus. Die pure Euphorie wird da passend zum namensgleichen „Euphoria“ begossen, das zu einem pop-punkesken Moshpit erster Güte führt, direkt gefolgt von „Between The Devil And The Deep Blue Sea“, welcher die Münchner schnell zu härteren Hüpfgefilden wechseln lässt. Die Bulls waren noch nie einem Genre fix zuzuordnen, viel zu vielseitig haben sie sich in ihrer Karriere präsentiert, sei es der 90er-NuMetal-Sound mit „Smells Like Rock’n’Roll“, knüppelharter Metalcore in „Here Comes The Fire“ oder doch eine kräftige Power-Ballade mit „Winterblood (The Sequel)“. Die Jungs sind seit über 25 Jahren ein sprudelnder Quell an Kreativität und Vielseitigkeit, den sie in Konzertlänge zum Ausdruck bringen.
Am Ende werden es unglaubliche 140 Minuten sein, die die Münchner da am Schaffen sind – eine Zeit, die Genre-Kolleg*innen zumeist mit der Hälfte der Spielzeit unterbieten, höchstens noch mit den pflichtmäßigen 90 Minuten. Aber die Truppe um Frontmann Christoph von Freydorf ist nicht von Pflichtgefühl, sondern reiner Passion geleitet. Warum kürzer spielen, wenn man doch auch über zwei Stunden das Beste geben kann? An Liedern mangelt es den Herren kaum, vor allem nicht mit dem Blick auf die unendliche Diskografie – und in der Konzertlänge dürfen auch Perlen wie „These Are The Days“ und „It’s High Time“ ins Programm wandern. Konditional sind die Bulls sowieso trainiert – die letzten Wochen wurde fleißig getourt, nun gibt es in München den Abschluss. Dementsprechend spielerisch fein präsentiert sich die Instrumentalfraktion, Sänger Freydorf brüllt und singt sich wie üblich die Seele aus dem Leib. Sogar ein Bier-Wegexen-Battle entsteht auf der Bühne, das der junge Mann aus dem Publikum für sich entscheiden kann – nach weniger als zwei Sekunden sind die 0,5l Bier in den Körper reingerutscht. Da muss sogar Bierex-Meister Freydorf seinen Hut ziehen und einfach ein paar Lieder mehr singen – wie beispielsweise das a-ha-Cover „Take On Me“, das in München nun fast schon traditionell wie in den Vorjahren in die Setlist rutscht. Ein magischer Moment ergibt sich noch bei der Ballade „I Don’t Belong Here“: das Publikum setzt sich von sich aus hin, leuchtet fleißig mit Handy und Feuerzeug, während die Musiker auf der Bühne auf höchstem Niveau diese wahnsinnig starke Ballade darbieten. Um 23:55 Uhr mit „Worlds Apart“ findet der Kochtopf sein Ende – bis zum nächsten Tag.
10. Dezember 2022
Here we go again! Dieses Mal, so bringt es der Samstag mit sich, ist die Stimmung von Anfang an ein wenig ausgelassener, das Publikum gleich zu Beginn früher da und sowieso, heute haben die Fans teilweise seit knapp drei Jahren die Karten für das Konzert. Eine verrückt lange Zeit, so lange so viel Vorfreude zu bündeln, um sich am langersehnten Tag rauslassen zu können. Das gelingt bei SETYØURSAILS um 19:35 Uhr noch etwas zögerlich, zieht aber schnell an und mündet sogar im ersten Circle Pit trotz der frühen Uhrzeit. Die Kölner belohnen das mit ordentlichen Riffs und guten Melodien, die im Laufe der Spielzeit immer mehr zünden. VENUES im Anschluss tun es ihnen gleich, liefern wie bereits am Vortag eine astreine Performance ab und bringen die Menge stetig mehr zum tänzerischen Vorglühen.
Die Bombe platzen lassen dann aber wieder die Headliner des Abends um 21:35 Uhr: Emil Bulls! Und im Gegensatz zum Vortag gestaltet sich der Moshpit intensiver, größer und impulsiver, schon bei „The Ninth Wave“ wird mit so viel Elan herumgehüpft, dass Frontmann Freydorf zurecht nur anmerkt, was das bitte für ein großartiger Empfang sei. Motivierende Ansagen sind da weniger nötig, die Musik regelt und das gut aufgelegte Publikum tut den Rest. Das hat dann auch zur Folge, dass witzige Interventionen vom Vortag relativ ausbleiben, stattdessen geht es zackiger und schneller durch die Setlist, als hätte man Zeit zu verlieren. Die Songauswahl ist exakt identisch wie am Vortag und erst die kurze Ansprache von Gitarrist Stephan Karl aka Moik bringt ein wenig abendliche Einzigartigkeit mit sich: er spricht von der Zenith-Planung, den Änderungen aufs Backstage, der wunderbaren Jubiläumstour und nun dem schlussendlichen Ankommen im Wohnzimmer der Bulls. Eine wunderbare Überleitung zu „Nothing In This World“. Wer sehnsüchtig auf eine Änderung zum Vorabend wartet, wird inmitten von „I Don’t Belong Here“ belohnt – die Crewmitglieder stürmen zum Tourabschluss die Bühne und spielen eine eigenwillige Version von „Presslufthammer B-B-Bernhard“ der Band Torfrock. Na, warum auch nicht!
Und doch ist es auch überhaupt nicht verwerflich, die Abende identisch zu gestalten, denn anders waren sie auch nie angekündigt; sowieso, die Setlist ist so dicht und prall gefüllt mit einem Querschnitt der Karriere, dass man kaum einen Song missen möchte. Im Laufe der Jahre haben die Bulls immer mehr unverzichtbare Lieder geschrieben, die sich in der Setlist manifestieren – das liegt natürlich auch am fraglosen Talent, selbst mit unzähligen Bandjahren auf dem Buckel konstant starke Alben zu veröffentlichen und erst 2014 mit „Sacrifice To Venus“ den bis dato größten Erfolg der Bandgeschichte zu feiern. Die Geschichte der Emil Bulls ist noch lange nicht auserzählt, 2023 soll ein neues Album erscheinen. Man darf gespannt, mit welchen Melodien uns die Münchner auch nach dann 28 Jahren Historie noch begeistern können. Bis zum nächsten Mal!
Setlist: The Ninth Wave / The Age Of Revolution / Euphoria / Between The Devil And The Deep Blue Sea / Smells Like Rock’n’Roll / Leaving You With This / These Are The Days / Here Comes The Fire / The Most Evil Spell / Not Tonight Josephine / It’s High Time / Hearteater / Nothing In This World / Winterblood (The Sequel) – Zugaben 1: Wolfsstunde / Ad Infinitum / Man Or Mouse / Survivor (Destiny’s Child cover) / Pants Down – Zugaben 2: I Don’t Belong Here / The Jaws Of Oblivion / Take On Me (a-ha cover) / When God Was Sleeping / Worlds Apart
Bericht: Ludwig Stadler