Neben „1984“ ist Animal Farm wohl das bestbekannte Buch von George Orwell und dürfte insbesondere den Abiturient*innen hierzulande ein – zuweilen angstschweißauslösender – Begriff sein. Gerade diesen Umstand scheint sich diese bemerkenswerte Produktion unter der Regie von Sapir Heller zunächst zu eigen zu machen, wenn zu Beginn des Stücks ein sprechender Golden Retriever mit einem Heftchen des wohl meistgehassten Bücherverlags Reclam im Maul die Bühne betritt. Eines wird dem Zuschauenden damit sofort klar: Man hat sich gewiss nicht in der Tür geirrt. An diesem Oktoberabend kann nur eine Inszenierung der Fabel „Animal Farm“ von Orwell aus dem Jahre 1945 auf dem Spielplan des Münchner Volkstheater stehen. Ein Blick in die Zuschauerränge bestätigt dies durch die anwesenden Schulklassen und das auffallend junge Publikum. Doch wenn die Zuschauenden hier vielleicht eine bloße, wenn auch lehrreiche Adaption einer Pflichtlektüre erwartet haben, so wurden diese recht schnell eines Besseren belehrt und durften sich an einer detailverliebten Inszenierung erfreuen, die sich weit über Orwells Kritik am Stalinismus und dem Scheitern der russischen Revolution 1917 erhebt, zu einer gesellschaftskritischen grundlegenden Reflexion über Macht und Rhetorik.
Diese Erkenntnis ist jedoch keine sofortige. Das Stück lebt in seiner Dramaturgie, die Leon Frisch in fantastischer Weise schuf, von seiner Dauer und der fast schleichenden Entwicklung der Geschichte. Rückblickend mag es einem sogar entfallen, wann genau dieses Stück von einer fast schulisch komödiantischen Erzählung zu einem todernsten gesellschaftskritischen Dorn wurde und man mag sich fragen, wie man eigentlich bei dem ernsten Thema jemals zu Beginn hatte lachen können. Denn zunächst taucht das Stück seinen großen Zeh in das Wasser der deutschen Pflichtlektüre und man erhält als Zuschauender eine kurze Einführung zu George Orwell und seiner Motivation zu diesem Werk in fast dozierender Manier. Dies wird übernommen von dem eingangs erwähnten Hund, der von Philipp Lind vertont wird und die Zuschauenden zum Lachen bringt. Auch die Vorstellung der Protagonisten und das erste vom Revolutionsgedanken getragene Treffen der Tiere erhält in Kombination mit der musikalischen Untermalung (Ralph Heidel) noch einen hoffnungsvollen und positiven Einschlag. Im Folgenden erhält die Geschichte jedoch einen immer ernsteren Ton, der düsterer und düsterer werdend in einer unerwartet deprimierenden Tragödie endet. Als stilistisches Mittel hierfür werden wie eingangs erwähnt die überaus sorgfältig eingesetzten Details verwendet, die im Zuschauenden ein latent unangenehmes Gefühl erzeugen – passend zu der Entwicklung der scheiternden Revolution der Tiere. Sei es das Rauchen einer echten Zigarette auf der Bühne hier, oder der deplatzierte Zungenkuss zwischen Schwein und Stute dort. Je weiter die populistischen Reden der Schweine und deren Machtergreifung über die Tiere fortschreitet und je weiter sich die Befreiung der Tiere von deren Ausbeutung durch den Menschen in eine selbstgewählte Ausbeutung durch die Schweine hineinmanövriert, desto unangenehmer werden die verwendeten stilistischen Mittel. Selbst der süße Golden Retriever vom Beginn beendet seinen Auftritt angeleint, mit dem Rücken zum Publikum, während sein Sprecher sich als schnöder Mensch mit einem Mikrofon entpuppend die Schlussworte des Stücks verlautbaren lässt: „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher“.
Unterdes unterstützen das minimalistische Bühnenbild und die fast dystopisch anmutenden Kostüme (Anna van Leen) diese sich langsam entwickelte Ernsthaftigkeit des Stücks. Drei frei verschiebbare rechteckige Gestelle aus dunklem Metall machen das gesamte Bühnenbild aus und werden von den Schauspielern selbst, eingebunden in das Stück verschiedentlich kombiniert. So wird die harte körperliche Arbeit der Tiere auf der Farm durch das ständige Verschieben dieser Gestelle fast physisch für den Zuschauenden greifbar gemacht. Die Kostüme stellen in diesem Stück, das als Protagonisten ausschließlich Tiere beinhaltet tatsächlich eine Besonderheit dar, da es diese kleinen Meisterwerke schaffen gleichzeitig sicherzustellen, dass das jeweilige Tier als solches erkennbar wird, ohne dass der Darstellende dahinter verloren geht. So können die einzelnen Schauspieler glänzen, ohne als Menschen abgetan zu werden, die als Tiere kostümiert sind. Exemplarisch zu nennen ist hierbei die sehr überzeugende Anne Stein, die sich als Schwein Napoleon und Antiheld der Geschichte langsam, aber sicher aus dem Herzen der Zuschauenden herausspielt.
Alles in Allem handelt es sich also um ein Stück, dass eine gewisse Nervenfestigkeit und Bereitschaft erfordert, sich mit einem gleichermaßen unangenehmen, wie aktuellen Thema zu beschäftigen. Zugleich bringt es dem Zuschauenden jedoch auf unverfälschte Weise das in seiner Einfachheit und zugleich Tiefgründigkeit geniale Werk George Orwells näher. Nicht nur Abiturient*innen werden sich dieser Inszenierung noch lange erinnern. Weitere Spielabende sind im Volkstheater für Ende November und Anfang Dezember geplant.
Kritik: Catarina Silva Ruther