Der wendende Punkt – Festspiel-Sonderkonzert in der Staatsoper (Kritik)

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Alles kommt irgendwann zu einem Ende, so natürlich auch die lange und ereignisreiche Intendanz von Nikolaus Bachler. Wir als Magazin als auch persönlich sind, allein schon aufgrund des Alters, gar nichts anderes gewohnt als die Opernproduktionen, die unter der Hand des österreichischen Intendanten aufgeführt wurden. Daher ist es durchaus als das Ende einer Ära zu bezeichnen, wenn Bachler nun nach rund 13 Jahren sich aus München von der Bayerischen Staatsoper verabschiedet. Kontrovers und kämpferisch, aber auch versiert und gern mal pompös ging es in all der Zeit zu, auch in seiner letzten, durch die Pandemie geprägten Spielzeit. „Der wendende Punkt“ ist daher nicht nur das Spielzeit-Motto, sondern auch der Titel eines einzigartigen Festspiel-Konzerts, das allerlei Highlights der letzten Jahre von den Erstbesetzungen noch einmal erklingen lässt.

© Wilfried Hösl

Als der Vorhang sich zu Wagners Rheingold-Vorspiel erhebt, ist der Saal des Nationaltheaters bereits so voll, wie er nur voll sein darf zu dieser Zeit. Nebenan, am Marstallplatz, findet eine kostenfreie Übertragung mit 1.500 Sitzplätzen statt, zuzüglich wird das Konzert kostenfrei weltweit im Internet übertragen. Verwunderlich ist es kaum, liest sich die Besetzung doch erst einmal wie der geheime Traum jedes Opern-Fans: von Jonas Kaufmann bis Marlis Petersen an der Gesangsfront bis zu Kent Nagano und Kirill Petrenko am Dirigentenpult ist alles vertreten. Selbst Anna Netrebko war bis zum Tag selbst mit einer Arie aus „Tosca“ angekündigt, sagte aber kurzfristig wegen Reiseschwierigkeiten ab – wenig überraschend. Trüben konnte das die Stimmung nicht. Andreas Weirich hat den Abend szenisch in das Setting der jeweiligen Inszenierungen eingebunden, lässt im Hintergrund also Bilder und kurze Filme projizieren, die sofort Assoziationen zu den damaligen Premieren aufkommen lassen. Mittendrin liest Nikolaus Bachler selbst immer mal wieder Gedichte – natürlich, wie sollte es anders sein, von seinem favorisierten Rainer Maria Wilke.

© Wilfried Hösl

Spannenderweise treten die 22 (!) Beteiligten tatsächlich in ihren Paraderollen auf, in denen sie große Erfolge in den vergangenen Jahren feiern konnten. Ausnahmen gibt es nur wenige, so singt Diana Damrau ein wunderbares Stück aus „Le nozze di Figaro“, wenngleich sie in „Lucia di Lammermoor“ sicher den eindrucksvolleren Auftritt hinterlassen hatte. Auch Christian Gerhaher entscheidet sich für das etwas sperrige „Possente spirto“ aus „L’Orfeo“ anstatt sich seinen Wagner-Erfolgen an der Staatsoper zu widmen. Doch dies sind nur kleine Verwunderungen in einem besonders musikalisch ganz großen Abend, der natürlich die gesungene Stimme in den Vordergrund stellt, nichtsdestotrotz auch Raum für die großartige Arbeit des Bayerischen Staatsorchesters lässt. Kent Nagano, Asher Fisch, Ivor Bolton und natürlich Kirill Petrenko dirigieren durch die verschiedenen Hochstunden der letzten Jahre, sogar die Teile von Beethovens Streichquartett, die in Calixto Bietos „Fidelio“-Inszenierung in 30 Meter Höhe in Käfigen gespielt wurden, stehen an diesem Abend in gleicher Form auf dem Programm – direkt nach der grandiosen Ermonela Jaho und der „Senza mamma“-Arie aus „Suor Angelica“, dem Mittelteil von Pucchinis „Il trittico“.

© Wilfried Hösl

Wagner und Strauss nehmen selbstredend einen großen Teil des Programms ein, vor allem in der zweiten Hälfte und von den weiblichen Stimmen gibt es Ausschnitte aus „Die Walküre“ (Anja Kampe), „Tristan und Isolde“ (Nina Stemme), „Tannhäuser“ (Simon Keenlyside) und „Die Meistersinger von Nürnberg“ (Wolfgang Koch). Heldentenöre dagegen sind Mangelware, aber die gab es über die vergangenen Jahre wohl auch oft genug zu hören – Pavol Breslik gibt eine Arie aus „Rusalka“ zum Besten, ansonsten hat nur der Tenor einen Doppeleinsatz, der in München seine Weltkarriere nur noch weiter ausbauen konnte: Jonas Kaufmann. Gemeinsam mit Anja Harteros (die wohl aufgrund der hohen Belastung durch „Tristan und Isolde“ bereits frühzeitig absagte) haben sie mit dem „Lohengrin“ 2009 begonnen und nun mit „Tristan und Isolde“ 2021 beendet, was sie als Opern-Traumpaar etabliert hat: große Emotionen und große Stimmen. Ein Duett der beiden wäre wohl noch das i-Tüpfelchen gewesen, gibt es aber immerhin am Folgetag beim abschließenden Tristan zu genüge. Kaufmann selbst wählt aus dem schier endlosen Münchner-Repertoire „Un dì all’azzurro spazio“ aus „Andrea Chénier“ als Abschluss des ersten Teils und zum Ende noch aus „Die tote Stadt“ den Schlussgesang: „O Freund, ich werde sie nicht wiedersehn.“

Dass wir Kaufmann wiedersehen, ist bereits klar: er spielt „La forza del destino“ im neu eingeführten Septemberfest zum Start der neuen Spielzeit. Bachler wiederum zieht weiter nach Salzburg zu den Osterfestspielen, und selbst wenn er gelegentlich als Gast in der Staatsoper vorbeischaut, ihn werden wir wohl wirklich nicht wiedersehen. Franz Schuberts „Abschied“ beschließt so das lange und ausführliche Rückblickskonzert, konsequenterweise vom Liederduo Gerhaher und Huber. Stehende Ovationen, als Bachler beim ausufernden Applaus die Bühne betritt, lassen nicht lange auf sich warten. Ein großer Abend und würdiger Abschluss einer großen Intendanz. Chapeau!

Kritik: Ludwig Stadler