Mit dem Trio Zimmermann beehrt am 17. Mai 2019 eine hochkarätig besetzte Streicherformation das Prinzregententheater: der namensgebende Violinist Frank Peter Zimmermann, Antoine Tamestit an der Viola sowie Christian Poltéra am Cello. Alle drei unglaublich erfolgreich und in beinahe allen musikalischen Epochen unterwegs. Aus dem recht begrenzten Repertoire für Streichtrio haben sie für das Münchner Publikum das Streichtrio op. 45 von Arnold Schönberg sowie eine Transkription der „Goldberg-Variationen“ von Johann Sebastian Bach im Gepäck.
Frank Peter Zimmermann wendet sich noch vor dem Spielen charmant und sympathisch an das Publikum und erzählt die Entstehungsgeschichte des Schönbergschen Streichtrios: er hat es während seiner Genesung von einem schweren Herzinfarkt komponiert, als Tagebuch seiner Rekonvaleszenz sozusagen. Jeder Akzent soll eine Spritze darstellen, habe der Komponist selbst über sein Werk gesagt. „Hoffentlich verstehen Sie das Trio nun besser und gehen nicht nach den ersten zwei Minuten, denn die, glaube ich, sind der Herzinfarkt!“, schließt Zimmermann belustigt.
Ähnlich wie bei den Amigos, senken wir bei diesem Konzert den Altersdurchschnitt erheblich, noch stärker als bei anderen Klassikkonzerten – der dodekaphone Schönberg trägt ziemlich sicher seinen Teil dazu bei. Sein Streichtrio ist zugegebenermaßen kein Werk, das man sich zuhause im Wohnzimmer noch einmal anhört. Aber live im Konzert mit derart viel Energie und exzellenter Technik gespielt, kann man es sich schon „antun“. Es ist zum einen extrem abwechslungsreich, auch technisch gesehen: ständig wechselt die Bogenführung, Dämpfer kommen zum Einsatz, Flageolette sind an der Tagesordnung. Zum anderen ist das Werk nicht so atonal und dissonant wie viele andere Stücke der Zwölftonmusik, sondern verhältnismäßig leicht zugänglich. Das Trio Zimmermann schafft eine dramatische Atmosphäre und behält die pessimistische, von Leid geprägte Stimmung des Werkes stets bei. Die technischen Ansprüche setzen ein hohes Maß an Virtuosität voraus, das die drei Spitzenmusiker selbstverständlich mitbringen. Sauberste Flageolettöne und fein differenzierte, aufeinander bestens abgestimmte Dynamik machen das Trio zu einem narrativen Erlebnis.
Nach gerade einmal 25 Minuten geht es schon in die Pause – klar, Bach kann nicht unmittelbar auf Schönberg folgen, außerdem ist dessen Streichtrio „sehr anstrengend zu spielen“, wie Zimmermann selbst sagt. Dafür dauert der zweite Teil des Abends umso länger: fast 75 Minuten füllen Johann Sebastian Bachs „Goldberg-Variationen“, arrangiert für Streichtrio von Dmitri Sitkovetsky. Im Original sind die Variationen für Cembalo geschrieben, werden heutzutage aber vorwiegend auf dem Klavier gespielt. Die Aufführungsdauer divergiert stark, von knackigen 38 Minuten, wie sie beispielsweise der große Glenn Gould benötigte, bis hin zu eineinhalb Stunden – abhängig von der Anzahl der Wiederholungen jeder einzelnen Variation. Die Interpretation des Trios Zimmermann befindet sich demzufolge eher im oberen Mittelfeld des zeitlichen Ausmaßes.
Cellist Poltéra setzt warme, dicke Continuo-Akzente unter die leichtfüßigen und tänzerischen, teils improvisatorisch anmutenden Stimmengeflechte der beiden höheren Streichinstrumente. Dann wieder übernehmen Cello und Bratsche den Hauptanteil der Stimmen, bevor wieder alle drei Instrumente gleichberechtigt sind. So kommen immer unterschiedliche Kombinationen zustande, wobei die Stimmen untereinander stets reibungslos wechseln, die drei Musiker sich scheinbar blind verstehen. Ganz geradlinig und schlicht ohne viel Vibrato, aber mit sehr abwechslungsreicher und ansprechender Dynamik, sitzt jeder Ton da, wo er hingehört, die einzelnen Variationen, 30 an der Zahl, fügen sich kohärent und stimmig in den gesamten Zyklus.
Verständlicherweise gibt es an diesem Abend keine Zugabe – nach der enormen Konzentrationsleistung der Musiker und Zuhörer, dieses komplexe Werk von Anfang bis Ende so qualitativ hochwertig zu interpretieren beziehungsweise zu verfolgen. Zugegeben, ein Streichtrio mag nicht eines Jeden Sache sein, aber wenn die Musik von solchen Vollblutmusikern mit derartiger Spielfreude und -intelligenz präsentiert wird, ist es eine wohltuende Reduktion auf das Wesentliche und die vielleicht purste Form der Kammermusik.
Kritik: Bea Mayer