Ob Marcus Mumford einen guten Altertumswissenschaftler abgäbe, hätte er nicht 2006 sein Studium abgebrochen und wäre nicht nach London gegangen, um sich dort seinen Weg ins Musik-Business zu bahnen, das können wir wohl kaum beantworten. Was wir aber feststellen können: Als Musiker funktionieren er und seine Band Mumford and Sons grandios. Das bewiesen sie einmal wieder am 1. Mai 2019 in der Olympiahalle.
Zu diesem Datum zieht es die Bayern ja klassischerweise eher auf das traditionelle Maibaumaufstellen in sämtlichen Orten im Münchner Umland oder zumindest auf das Frühlingsfest. Nicht verwunderlich also, dass tatsächlich einige Lederhosen und Dirndl in der Menge zu sehen sind. Obwohl die Olympiahalle für das Konzert bereits seit Wochen ausverkauft ist, füllen sich die Sitzreihen und Stehplätze erst gemächlich, als pünktlich um 19:30 Uhr die Band Gang of Youths die Bühne betritt. Dazu müssen sie an diesem Abend sogar einen Teil des Publikums durchqueren, denn die Bühne befindet sich mitten im Zuschauerraum, ist zu allen Seiten hin offen. So stehen auch an mehreren Enden Mikroständer, die die Musiker des Abends teils in regem Wechsel besingen.
Gang of Youths beginnen mit einem längeren Instrumental, das sich zwischen träumerisch und rockig bewegt; gerade Bass und E-Gitarre sind durchaus präsent im Mix. Frontmann David Le’aupepe erinnert optisch ein wenig an den John-Snow-Darsteller Kit Harrington und ist sich seiner Wirkung auf die Damenwelt dabei wohl bewusst, tanzt er doch stets in eindeutigen Posen über die Bühne. Dennoch kommen auch seine Bandmitglieder nicht zu kurz in der knapp 45-minütigen Show der australischen Indie-Gruppe. Die Songs sind ausnehmend lang, die Band spielt nur sieben Stücke, die instrumental und gesanglich sehr ausgeschmückt werden, im Song „Go Farther In Lightness“ wird das Publikum sogar überrascht von einem ausgedehnten Schlagzeug-Solo. Musikalisch muss sich die Gruppe allgemein nicht verstecken. Ihr Auftreten ist durchweg professionell, ansprechend und wirkt dabei frisch, versucht Klischees klassischer Indie- und Indie-Rock-Musik zu vermeiden, was gerade in den ruhigeren Parts und durch die energiereiche Performance des Sängers auch gelingt. Einen weiteren Sympathie-Punkt greift der Sänger ab, indem er seine (laut eigener Aussage nicht umfangreichen) Deutsch-Kenntnisse präsentiert und anhand einiger Ansagen auf Deutsch beweist, dass er nicht nur auswendig Gelerntes mitbringt.
Setlist: What Can I Do If The Fire Goeas Out? / The Heart Is A Muscle / Do Not Let You Spirit Wane / Go Farther In Lightness / Let Me Down Easy / Magnolia / The Deepest Sighs, The Frankest Shadows
Die Umbaupause gestaltet sich insofern als außergewöhnlich, dass Teile des Schlagzeugs und anderes Bühnenequipment aufgrund der unkonventionellen Lage der Bühne im Zentrum der Halle nahezu mitten durch das Publikum transportiert werden müssen. Vielleicht kann man hiermit auch die knapp zehn Minuten Verspätung erklären, mit denen Mumford and Sons um 20:55 Uhr die mittlerweile sehr gut gefüllte Halle betreten. Neben der britischen Band selbst stehen auch zahlreiche Mitmusiker an Blas- und Percussion-Instrumenten auf der Bühne, ferner sitzt ein Schlagzeuger sehr weit am äußeren Rand. Das Schlagzeug ist Programm: Zu Beginn der Show werden viele der klassischen Songs der Band als Version mit Schlagzeug, E-Bass und vor allem E-Gitarre performt. Gleich der zweite Song ist der erste große Hit der Band, der in England den Durchbruch und die Einladung zum Glastonbury Festival zur Folge hatte: „Little Lion Man“, der von vielen Fans gesangsstark begleitet wird. Trotzdem befinden sich gleich an beiden langen Seiten der rechteckigen Bühne auch die typischen Fußtrommeln, mit denen Frontmann Marcus Mumford ursprünglich die Band begleitete. Denn eigentlich ist der Sänger und Gitarrist der Gruppe ein Schlagzeuger, eine Rolle, die in der festen Besetzung aus „Country“ Winston Marshall an Banjo und seit neuestem E-Gitarre, Ted Dwane an E- und Kontra-Bass und Mumfords Schulfreund Bend Lovett am Piano eigentlich fehlt. Dass er jedoch genau dieses Instrument in besonderem Maße beherrscht, beweist der Sänger bei „Lover Of The Light“, denn er begleitet den Song in atemberaubender Virtuosität am Drum-Set, was seinem teils einfühlsamen Gesang überraschenderweise dennoch nicht zum Nachteil gereicht.
Mit zahlreichen Vintage-Instrumenten (Fender Jazzmaster, Gibson ES-335, Fender 60s Jazz Bass) hat die Band optisch eine tolle Verbindung des Elektrischen mit dem klassischen Charme des Folk gefunden. Mumford springt in gewohnter Manier auf der Bühne herum, die Ansagen teil er sich jedoch häufig mit Ben Lovett, der diese beinahe wortgewandter und charismatischer übernimmt als der zwischen ständigen Gitarrenwechseln (bis zu dreimal in einem Song!) hin und her gerissene Frontmann. Allgemein wirkt Mumford zwar sehr motiviert an diesem Abend, doch manchmal fast schon gehetzt, als wolle er alles gleichzeitig machen, alles gleichzeitig im Auge behalten und regeln. Vielleicht steht der Gruppe eine kleine britische unplugged Folk-Session doch noch besser als die große Bühne der Olympiahalle?
Genau das haben sie sich vielleicht selbst gedacht, als sie nach einem großartigen und lautstarken, wenn auch etwas frühen Finale um ca 22:00 Uhr erneut antreten zu einer besonderen Zugabe: Man hat ins Zentrum der Bühne ein einzelnes Mikrophon platziert, das zu allen Seiten hin den Ton abnimmt. Mumford hat eine einzelne akustische Gitarre, die anderen drei Bandmitglieder singen ohne eigene Instrumente die Harmonien zu drei wunderbar einzigartigen unplugged Versionen von „Cold Arms“, „White Blank Page“ und „Forever“. Da der ganze Sound tatsächlich nur über das kleine Mikrophon übertragen wird, ist dieser in der Halle recht leise, was leider nicht auf alle Konzertbesucher zutrifft… Dennoch kann sich die Wirkung entfalten. Was folgt, ist abermals ein kleiner Umbau, der sogar weitere „Zugabe…!“-Rufe hervorbringt. Es folgt die Vorband Gang of Youths, die gemeinsam mit Mumford and Sons die Bühne besteigt. David Le’aupepe und Marcus Mumford wechseln sich dabei grandios mit dem Gesang ab. Nach dem vermutlich größten Applaus des Abends für dieses Feature bekommt das Publikum noch drei Stücke zu hören: Nach den schon erwarteten großen Hits „Awake My Soul“ und „I Will Wait“ will die Band den Abend mit dem titelgebenden Songs des aktuellen Albums „Delta“ abrunden. Um ca. 22:30 Uhr ist das Konzert zu Ende. Tatsächlich, es ist damit etwas kurz. Doch hätte man nicht am Ende auf die Uhr geschaut, wäre es einem dann auch wirklich so vorgekommen…?
Setlist: Guiding Light / Little Lion Man / Holland Road / The Cave / Beloved / Lover Of The Light / Tompkins Square Park / Believe / Ditmas / Slip Away / Picture You / Darkness Visible / The Wolf – Zugaben: Cold Arms / White Blank Page / Forever / Blood (mit Gang of Youths) / Awake My Soul / I Will Wait / Delta
Bericht: Thomas Steinbrunner