Crippled Black Phoenix sind ein kleines – oder großes – Wunder: 15 Jahre gibt es die Band um Gitarrist Justin Greaves, der auch das einzige konstante Mitglied bildet, 15 Jahre mit wechselnden Sängern, stilistischen Kursänderungen, und einem Kader an Musikern, die beinahe alle auch anderweitig verpflichtet sind. Und dann spielen sie noch eine schwere, ‚uncoole‘ Mischung aus Post- und (Pink Floyd‘schem) Progressive Rock – und sorgen damit für ausverkaufte Häuser. Das Hansa 39 (Feierwerk) ist an diesem Abend des 9. April nicht ausverkauft, viel jedoch dürfte nicht gefehlt haben.
Crippled Black Phoenix werden begleitet von der Ein-Mann-Show Fotocrime, sowie von Soft Kill aus den Staaten. Der eine Mann hinter Fotocrime, die eigentlich ein Trio sind (oder waren?), Ryan Patterson, übernimmt neben dem Opening Slot auch den Bassistenjob bei CBP, die auf dieser Tour auch ohne ihren regulären Drummer auskommen müssen, anderweitige Verpflichtungen, man erinnert sich.
Überpünktlich betritt Patterson die stark eingenebelte Bühne. Allein, mit Gitarre und Synthesizer/Drumcomputer. Und Sonnenbrille! Rein abläufig lässt der Musiker nichts anbrennen, er ist nicht nur Herr seiner Stimme und Instrumente, sondern bedient auch das spärliche Licht, in dem er sich sehen lässt, selbst. Seine Musik, 80er-instpirierter Gothrock, stößt auf weitestgehend neutrale Reaktionen. Was die halbstündige Show befremdlich wirken lässt, ist vielmehr die Spannung zwischen der vorgestellten Autarkie und Authentizität des Solo-Künstlers und Pattersons auffälliger Verhaftetheit im Gestell seines Equipments, seiner vorprogrammierten Backing Tracks, in seiner Angewiesenheit auf das Wohlwollen des Publikums. Ein bisschen weniger Nebel, weniger technische Aufgezogenheit hätte Fotocrime gut getan.
Die zweiten im Bunde sind Soft Kill aus Portland. Die Band bezeichnet den eigenen Stil als Sad Rock und ähnelt mit ihren sparsamen, schwarz-ledrigen Melodien ihrem Vorgänger Fotocrime nicht unerheblich. Jedoch kann der Vierer mit einem druckvollen Gitarrensound punkten. Rechte Begeisterungsstürme brechen jedoch auch hier nicht los. Dennoch: Wenn Frontmann Tobias Grave sich beim Publikum fürs Kommen bedankt, nachdem ein kürzlich eingeplanter Auftritt der Band in München aufgrund fehlenden Interesses nicht zustande kam, und erzählt, dass die soeben gespielten Stücke sich mit dem Drogentod enger Freunde, und mit dem Tod des eigenen Kindes befassen, und er dabei von schallendem Gelächter unterbrochen wird, ist Fremdscham keineswegs für die Musiker, sondern für die entsprechenden Teile der Zuschauerschaft angesagt.
Nach Soft Kills knappem Set, ist es bald soweit. Alan Watts schnarrt vom Band über das Aussteigertum, über „The Great Escape“, wie CBP ihr aktuelles Album überschrieben haben, dann startet die Band mit „To You I Give“: Die wunderbare, gravitätische Dampfwalze ist ins Rollen gekommen.
Was Crippled Black Phoenix in den nächsten zwei Stunden abliefern, ist: überragend.
Was zwei Sänger, drei Gitarren, zwei Keyboards, Bass, Schlagzeug, und gelegentliche Trompete (verteilt auf acht Musiker) ausrichten können, wenn sie mit einer solchen Dynamik und offensichtlichen Spielfreude zum Einsatz kommen wie hier, ist phänomenal. CBP bewegen sich mit der Songauswahl bis zum Debütalbum „A Love Of Shared Disasters“ zurück, Live-Klassiker der Band wie „Poznan“, „We Forgotten Who We Are“ oder „Fantastic Justice“ fehlen ebenfalls nicht.
Zentral steht Sänger und Gitarrist Daniel Änghede, der in Kooperation mit ‚nur‘ Sängerin Belinda Kordic ein stimmiges Stimmzentrum abgibt, das zwar nicht so markant ausfällt wie das früherer Sänger, wie z.B. John E. Vistic, jedoch gerade im etwas raueren Live-Timbre auch dem älteren Songmaterial gerecht wird. Einen echten Frontmann haben und brauchen CBP ohnehin nicht, die Erzeuger treten stets hinter dem schieren Volumen des Erzeugten zurück, ähnlich wie bei z.B. Godspeed You! Black Emperor hat man es hier weniger mit einer performenden Band, als mit einem gewissermaßen anonymen Klangkörper, einem Orchester zu tun.
Dazu passt gut, dass CBP zwei Coversongs in ihr Set aufnehmen – und zwar solche, von denen man schlechterdings nicht erwarten kann bzw. konnte (zumindest nicht von den betreffenden Bands selbst), sie noch einmal derart machtvoll live interpretiert zu hören: Swans‘ monumental-cineastisches „The Golden Boy That Was Swallowed by the Sea“, und Pink Floyds „Echoes“, in voller Länge versteht sich.
Nach letzterem verabschieden sich CBP, um zu einer Zugabe, „Burnt Reynolds“ zurückzukehren. Und dass dieses, sich zu einem großen Teil aus Ahh-Chören speisende Stücke in München, der Fußballstadt bestens funktioniert, versteht sich von selbst.
Muss man gesehen haben: Crippled Black Phoenix gelingt es, kräftig an den urlebendigen Kern der Musik zu rühren; blutleeres Reverbgeseier, Unterordnung der Musik unter irgendeine Ideologie oder Ästhetik, technoides Schlagtertum sucht man hier vergeblich.
Setlist: To You I Give / No Fun / Champions of Disturbance, Parts 1 & 2 / Caring Breeds the Horror / Poznan / Rain Black, Reign Heavy / Nebulas / The Great Escape Pt.1 / You Take the Devil Out of Me / The Golden Boy swallowed by the Sea (Swans cover) / Fantastic Justice / We Forgotten Who We Are / Echoes (Pink Floyd cover) – Zugabe: Burnt Reynolds