Spiel mir das Lied vom Tod – Sólstafir in der Theaterfabrik

Ich hatte ja gedacht, dass Árstíðir es ein bisschen schwer haben würden, dass ihre introspektive, leise, manchmal fast meditative Akustik-Nordland-Musik auf taube, metallisch verbrämte Ohren stoßen würde. Tja, falsch gedacht. Die Theaterfabrik ist an diesem 29. November schon alles andere als leer, als Árstíðir um 20 Uhr auf die Bühne treten. Das Trio (Akustik-Gitarre und -Bass, Keyboard: Die normale doppelte Streicherunterstützung ist auf dieser Tour dabei) macht sich sogleich daran, Sympathiepunkte einzutreiben und kann sich auch auf einige schon im Vorfeld vergebene verlassen. Neben ihren eigenen Songs (ein neues Album wird für kommendes Frühjahr angekündigt), die eine feine Kaminfeuer-Melancholie verströmen, geben Árstíðir auch den angeblich ältesten Hymnus Islands (der aus dem 13. Jahrhundert stammt und ihnen vor ein paar Jahren zu einem viralen Clip verholfen hat) zum Besten – wie nahtlos das alles zusammenpasst!

Setlist: Himinhvel / Things You Said / Mute / Heyr Himna Smiður / Someone who cares / Systir / Shades

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Für einen nahtlosen Übergang zwischen den Bands sorgen angenehm fixe Umbauarbeiten – gegen den Culture Clash hilft das allerdings nichts. Denn ebenso wie es später schwerfällt, im netten Árstíðir-Keyboarder Ragnar Ólafsson den headbangenden Heini zu sehen, der zum Sólstafir-Finale mit dem Keyboard auf der Schulter über die Bühne trampeln wird, so hat man es nicht unbedingt leicht, sich nach dieser bodenständigen Kammermusik auf Myrkur und ihre elaborierte (Live-)Ästhetik einzulassen. Ihre Musiker bleiben als schwarz-verhüllte „Nameless Ghouls“ im Hintergrund, während sich Oberschamanin Amalie Bruun im schwarzen Flatterkleid, hinter dem Geäst ihres Mikrophon-Ständers, im Zentrum des Ganzen und in unüberbrückbarer Distanz zu allem traumwandlerisch-besessen bewegt. Abgesehen von wenigen Ausnahmen verzichtet sie auf Screams. Was kein Problem ist; dem melodischen Black Metal-Firmament, das hier hinter ihrem astral-sakralem Gesang aufgespannt wird, sind seit Ulvers „Bergtatt“ keine Sterne aus der Krone gefallen. Ihr Set schließt Myrkur allein, nur mit Geisterbeschwörungstrommel bewaffnet und dem Folksong „De Tre Piker“ – fast ein wenig hektisch wirkt das. Allgemein fällt es der Truppe schwer, ihr schwarzes, ernstes Feuer zu entfachen, eingerahmt von zwei Bands, die ihre Sache auf viel weniger äußerlich-dogmatische Weise ernst nehmen.

Setlist: Mareridt / The Serpent / Ulvinde / Onde børn / Vølvens spådom / Jeg er guden, i er tjenerne / Måneblôt / Elleskudt / Skøgen skulle dø / Skaði / De Tre Piker

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Was nicht heißen soll, dass die isländischen Cowboys sich nicht mehr herausputzen würden: In sorgfältig mit dem „Staub vieler Meilen“ behandelten, extra-skinny Jeans und all den anderen Accessoires angetan, die es eben braucht, um extrem badass auszusehen, sind Sólstafir gerade für die weibliche Fanschaft noch immer ein guter Grund, weit vorne zu stehen. Begleitet werden sie von einer stimmungsvoll-blendenden Lightshow mit alten Glühbirnen und, wie angedeutet, Ragnar Ólafsson an den Tasten. Als Sólstafir vor zwei Jahren im Backstage gastierten, hatten sie keinen Keyboarder zur Hand – ansonsten scheint sich wenig geändert zu haben: Sæþór Maríus Sæþórsson ist auf seiner Suche nach fucks to give noch keinen Millimeter weitergekommen, Svavar Austmann schaufelt so hingebungsvoll in seinem Tieftöner, als wolle er die Saiten melken, Hallgrímur Jón Hallgrímsson hinter den Kesseln gehört zwar inzwischen mehr oder weniger fest dazu, sitzt aber noch immer recht isoliert auf seinem Hochsitz. Und Frontbohnenstange Aðalbjörn „Addi“ Tryggvason? Wie stets ist er das höchst lebendige Hauptmotiv des Auftritts, die Gitarre hängt wie ein Spielzeug an ihm, er geht offensiv auf sein Publikum zu, gibt High Fives, kommuniziert, schaut in die Gesichter. Allerdings hat er den übermütigen Habitus, die Pose und Position des Rockstars bis zum Anschlag auszureizen, abgelegt – und befindet sich in mächtiger stimmlicher Verfassung. So herrschen die besten Voraussetzungen für einen starken Auftritt und sie werden effektiv umgesetzt.

„Wisst ihr was, wir sparen uns das Gehen und Wiederkommen und spielen statt einer Zugabe einfach ein bisschen länger“, leitet Addi den Rausschmeißer „Goddes of the Ages“ ein. Das unvermeidliche „Fjara“ wird zuvor natürlich ebenfalls abgehandelt, darüber hinaus „Otta“, das noch immer großartige „Lágnætti“ und das lange, wunderschöne „Köld“. Ansonsten gibt es Stücke vom neuen Album „Berdreyminn“, die sich in ihrer tanzbaren Melancholie bestens einfügen und denen von Seiten der Zuschauer ein warmer bis höchst angetaner Empfang bereitet wird. Dass einige nach „Fjara“ noch immer nach „Fjara“ verlangen, ruft zwar (nicht nur) bei Addi milde Verwunderung hervor, zuletzt dürften doch die meisten Besucher sich mit angedüstert-beschwingter Qualitäts-Unterhaltung den Bauch vollgeschlagen haben – genug Energie, um den potentiellen Schlafmangel am folgenden Donnerstag gar nicht zu spüren.

Setlist: Silfur-Refur / Ótta / Lágnætti / Ísafold / Köld / Hula / Fjara / Bláfjall / Goddess of the Ages

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Bericht: Tobias Jehle

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