Realität über Romantik – „Tosca“ in der Bayerischen Staatsoper (Kritik)

Veröffentlicht in: Oper, Theater | 0

„Tosca“ zählt zu den wohl am häufigsten aufgeführten und beliebtesten Opern in der jüngeren Musiktheatergeschichte. Das Werk von Giacomo Puccini hat seit seiner Uraufführung im Jahr 1900 einen beachtlichen Siegeszug in das alljährliche Repertoire der Opernhäuser weltweit hinter sich. Umso größer das Erbe, wenn man sich an eine Neuinszenierung heranwagt. Die Bayerische Staatsoper hat sich diesem Projekt bereits vergangenen Mai gewidmet, bei dem die 2010er-Inszenierung von Luc Bondy abgelöst wurde. Der Ansatz von Regisseur Kornél Mundruczó – natürlich – ein gänzlich neuer: Italien der 70er-Jahre. Kontrovers, provokant, extrem.

© Wilfried Hösl

Im Rahmen der Opernfestspiele gastiert die Inszenierung für drei Aufführungen, einschließlich des „Oper für Alle“-Events, im Nationaltheater. Die erste Überraschung, vielleicht auch Unmut über die Inszenierung ist verflogen, nun ist die Zeit gekommen, es nüchtern als neugedachte Version der Geschichte zu betrachten. Und so funktioniert das alles sogar ziemlich gut: Aus der Kirche wird ein Filmset, Cavaradossi ein exzentrischer Filmemacher. Gerade im ersten Akt, der für ein Opernhaus überraschend explizit daherkommt, entstehen unfreiwillig komische Momente im Zusammenspiel mit dem Libretto, das im Römischen Reich angesiedelt ist – das lockert den Beginn dieser noch so düster werdenden Oper angenehm auf. Der drastische Wechsel dann mit dem Auftritt von Baron Scarpia, überragend gespielt und gesungen von Ludovic Tézier. Während die Antagonisten gerne hölzern und unbeholfen wirken, gelingt Tézier ein dermaßen radikaler und furchteinflößender Auftritt, dass man selbst im Publikum sofort die Angst der Figuren spüren kann.

© Wilfried Hösl

Trotzdem vergisst die Inszenierung nie, warum diese ganze Drastik eingesetzt wird. Sie ist niemals nur Mittel zur Provokation, sondern erfüllt stets einen Zweck, so auch im zweiten Akt, wenn Cavaradossi gefoltert wird und das durchaus auch bildlich dargestellt wird. Ungewohnt ist es allemal, zudem Operngröße Jonas Kaufmann den Tenor-Part mimt und in allen Disziplinen gefordert ist. Überzeugen kann er dabei allemal. Der größte Applaus des Abends gebührt aber Eleonora Buratto, die die Titelpartie der Floria Tosca mit solcher stimmlichen Wucht präsentiert, dass nach ihrer Arie im zweiten Akt sicherlich zwei Minuten tosender Applaus aufbrandet. Die Münchner*innen scheinen sich langsam angefreundet zu haben mit der neuen „Tosca“ – und im Zusammenspiel mit dieser starken Besetzung gelingt ein ungewöhnlicher, direkter, aber dennoch eindrucksvoller Opernabend!

Kritik: Ludwig Stadler

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert