Dienstag, der 23. Mai, Werksviertel Mitte. Aus der TonHalle dringt Geschrei, dort wird Metalcore gespielt. Wer heute unter das erleuchtete Vordach des benachbarten Technikum schlüpft, hat anderes im Sinn. Dennoch: Laut wird es auch hier werden, emotional auch. Die Post-Rock-Institution MONO ist für heute an besagtem Vordach angeschrieben. Die nimmermüden Japaner*in(en) sind regelmäßige Gäste in München und können sich auf eine stabile hiesige Fanbase verlassen. Ebenso regelmäßig erreichen uns die Albenveröffentlichungen der Band, zuletzt erschien – vom Soundtrack »My Story, The Buraku Story« (2022) abgesehen – vor zwei Jahren »Pilgrimage of the Soul«, das den Willen der Gruppe unterstreicht, sich innerhalb des von ihnen geprägten Stils immer neu zu orientieren und auszurichten.
Wie bei vergangenen MONO-Konzerten, wo man etwa Årabrot oder Vampillia erleben konnte, lohnt es sich auch heute, früh genug zu erscheinen, um das Vorprogramm nicht zu verpassen. Freuen darf man sich auf das englische Post-Rock-Duo Nordic Giants, sowie auf die niederländische (Post-)Punk-/Metal-/Rock-/Darkwave-Formation GGGOLDDD, deren bisherigen Output man getrost und ohne zu Stottern als goldwert bezeichnen kann. Dass um 20 Uhr, als die nordischen Giganten ihr Set beginnen, das Technikum gerademal zu knapp zwei Drittel gefüllt sein dürfte, lässt zunächst vermuten, dass in der Tat viele Zuschauer*innen erst zur Hauptband erscheinen werden. Doch es wird nicht viel voller, was vor den weißen, hohen Wänden der Halle einen etwas traurigen Eindruck macht. Es scheint, als wäre das Strøm, wo MONO in den vergangenen Jahren auftraten, die bessere Wahl gewesen.
Ein audio-visuelles Erlebnis könnte man mit einem gewissen Maß an gutem Willen das Set der Nordic Giants nennen. Man könnte auch von eher mediokrer Musik, gepaart mit einem sich selbst ins Aus schießenden Video-Zinnober sprechen: Das Duo (Loki und Rôka) erscheint in eine Art von heidnischen Federuniformen gehüllt; sie spielen in der Hauptsache Schlagzeug und Keyboard, ab und zu erfolgt ein Ausflug an die Trompete oder Gitarre. Alle anderen Instrumente, einschließlich Gesang, stammen vom Band. Doch sichtbar sind die beiden Musiker ohnehin kaum, sichtbar sind die Kurzfilme, die jeden der Songs begleiten, oder vielmehr die von den Songs der Band begleitet werden. Gleich zwei Projektionsflächen bieten die Giants auf: eine Leinwand in ihrem Rücken, sowie einen großen Bildschirm im Vordergrund. Die gezeigten Filme variieren in Qualität und Machart, sind mal narrativ, mal assoziativ gehalten, doch blasen mehrheitlich in ein Horn: Kritik am Konsumismus, an den Medien, an der Ressourcenverschwendung. Dagegen lässt sich nichts einwenden, doch das meist ärgerlich platte Moralisieren, das einem hier unter die Nase gerieben wird, unterlegt von poliert-plätscherndem, wenig dynamischen Post-Rock; die Naivität der ganzen Szene: zwei in nach urtümlicher oder progressiver Authentizität haschenden Federschmuck gehüllte Gestalten, eingekeilt zwischen Videowände, die uns stumm zurufen, endlich zur Wahrheit zu erwachen, – und damit ein denkbar treffendes Sinnbild der Postmoderne abgeben – all das stößt zu sauer auf, um den Nordic Giants viel abgewinnen zu können.
GGGOLDDD hingegen lassen das Publikum, auf das sich Rezensent hiermit anmaßt, sein Empfinden zu übertragen, nicht schulterzuckend, sondern beeindruckt, beunruhigt, erhoben, unterhalten zurück. Die Band tritt mit verschlanktem Line-Up, das auf ihr neuestes Album »This Shame Should Not Be Mine« zugeschnitten ist, auf: Es fehlen Schlagzeug und dritte Gitarre, zumeist auch der E-Bass (Bassist Danielle Warners ist eher damit beschäftigt, ein kleines E-Drum-Kit zu bedienen; auch Gitarrist Thomas Sciarone ist mehr mit Synthesizer-Reglern, als mit Saiten beschäftigt). Mit genanntem Album bewegte sich die Band weg vom Sound ihrer vorherigen Werke, der geprägt war von der Dynamik zwischen der kantigen Lyrik von Sängerin Milena Eva und einer rollenden, gewittrigen, Blast-Beat-durchsetzten Riffwand. Mehr elektronische Klänge hielten Einzug, die dadurch entstehende klaustrophobisch-alarmierende Atmosphäre unterstreicht das Thema des Albums, das die künstlerische Durcharbeitung einer Vergewaltigungserfahrung Evas darstellt. Der musikalischen Aufstellung entsprechend konzentrieren sich GGGOLDDD auf »This Shame Should Not Be Mine«; nur zwei ältere Songs schaffen es in die Setlist, »Old Habits«, sowie »He Is Not«. Beide Stücke wurden radikal und originell, bis in die Gesangsmelodien hinein, umgearbeitet und bilden Höhepunkte des Auftritts der Niederländer, der es an denkwürdigen Momenten nicht fehlen lässt. Besonders hervorzuheben ist »Spring«, das in schnörkelloser, direkter Sprache, meisterhaft instrumental inszeniert, das Trauma brutal greifbar werden lässt.
Setlist: Beat by Beat / Strawberry Supper / Spring / I Won’t Let You Down / He Is Not / I Let My Hair Grow / Old Habits / Notes on How to Trust / On You
Wo GGGOLDDD die Risse und Furchen der Seele aufklaffen und sprechen lassen, liegt in MONOs Musik etwas Heilendes, Entrücktes. Nicht Schmerz, Wut, Trauer, sondern Melancholie, Nostalgie, Dankbarkeit, Freude. Die Band, wie immer in der Aufstellung Takaakira „Taka“ Goto und Hideki „Yoda“ Suematsu links und rechts sitzend, in der Mitte Tamaki Kunishi stehend am Bass, startet mit zwei Stücken vom aktuellen Album, »Riptide« und »Imperfect Things«. Leider gelingt es den Soundverantwortlichen erst zum zweiten Song, MONO gut hörbar werden zu lassen; ungeachtet dessen ist es beiden Stücken anzukennen, dass die Band durch einen Besetzungswechsel, der sich hinter der genannten Dreierformation abgespielt hat, nämlich durch die Ersetzung des früheren Drummers Yasunori Takada durch Dahm Majuri Cipolla, neue musikalische Ausdrucksmittel hinzugewonnen hat. Verhielten sich auf den früheren Alben der Band die Drums eher supportiv zum mit den Saiteninstrumenten ausgetragenen Hauptgeschehen, hält mit Cipollas agilem, gespanntem Spiel ein perkussives Element Einzug ins Vokabular der Japaner, das ihnen so gut zu Gesicht steht, dass die Klassiker, derer die Band nicht wenige zum Besten gibt, zunächst fast behäbig wirken. Alsbald aber ist man wieder in jenem zeitlosen Raum »between Tides and Glory«, badet in den Gezeiten von Laut und Leise und beglückwünscht sich vielleicht hinterköpfens, dass man »Nowhere, Now Here« ist: Denn keine Aufnahme kann das Erlebnis ersetzen oder wiedergeben, die Band live zu hören. Die mitunter groß angelegten Streicherarrangements, derer sich MONO auf ihren Studioalben bedienen, haben nicht dieselbe Qualität, wie das, was die vier Musiker*in(en) in klassischer Rockband-Besetzung live und ohne zusätzliche Einspielungen aus der Konserve zuverlässig realisieren. Schon erheben sie sich wieder, das obligatorische Abtreten vor der ebenfalls obligatorischen, doch nichts desto weniger wieder einmal großartigen, exzessiven Zugabe: »Com(?)«
Setlist: Riptide / Imperfect Things / Nowhere, Now Here / Innocence / Sorrow / Halcyon (Beautiful Days) / Ashes in the Snow // Com(?)
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