Es sind buchstäblich hunderte Meter, die sich die Schlange am Haupteingang des Backstage nach hinten zieht, als der Konzertbeginn naht. Dabei war es erst im Herbst 2021, als Maximilian Kennel und Jonas Frömming alias Das Lumpenpack letztmals das Münchner Backstage bespielten; anders als früher bereits das zweite Mal mit Band anstatt nur zu zweit und mit einer Gitarre. Die beiden Poetry Slammer haben sich vom Poetry/Comedy-Phänomen hin zu einer vollwertigen Rock/Pop-Erscheinung entwickelt.
Bereits lange vor Konzertbeginn drängen die Menschen nach vorne – es ist sofort wahrnehmbar, dass eine ausgelassene „Die-Pandemie-ist-vorbei“-Stimmung herrscht. Alle wollen tanzen, feiern, schreien. Da kommt es gelegen, dass die Sängerin der Vorband ok.danke.tschüss kräftig dazu einlädt, sich am Singen und Mitgehen zur Musik zu beteiligen. Ihre Band hat sie nicht dabei, sondern steht alleine mit einer E-Gitarre auf der Bühne. Mit dem gezielten Einsatz von Gitarreneffekten wie Octaver (fügt dem Signal eine tiefe Bassspur hinzu) erreicht sie dennoch einen überraschend vollen Klang. Die Texte sind intelligent und wirkungsvoll, treffend und aktuell. So spielt sie in „Zu laut in der Disko“ damit, dass sie und das Publikum sich, im Sinne des Titels, nicht verstehen, oder fleht in einem Anti-Kriegssong einen Soldaten an, er solle doch nicht vor seinen Eltern sterben; zusammen mit ihrer gekonnten Stimme erzeugt sie gerade in diesem Lied einen Gänsehaut-Moment nach dem anderen.
Erst um 21:30 Uhr betreten schließlich die Musiker*innen von Das Lumpenpack die Bühne und springen zu den wilden Klängen ihres Amazon-Prime-Songs ebenso euphorisch über die Bühne, wie es das Publikum vor ihnen tut. Die Band beinhaltet neben Alex Eckert an den Drums und Lola Schrode am Bass insbesondere den an sich nicht unbekannten Autor und Musiker Jason Bartsch, den Max und Jonas für die Lead-Gitarre gewinnen konnten; ein Job, den er mit jaulenden Indie-Gitarrensolos gekonnt ausübt und jedes Mal einen überraschend kräftigen Szene-Applaus genießt. Das Publikum ist nicht nur energiegeladen und euphorisch, sondern auch überraschend textsicher bei vielen der Songs. „Pädagogen“ beispielsweise lassen die Musiker zeilwenweise vom Publikum skandieren, bevor erst nach Strophe und Refrain überhaupt ein Instrument mit einsetzt.
Der Ursprung des Projekts aus der Poetry-Slam-Szene wird immer wieder deutlich. So gibt es humorvolle, lange Einleitungen zu den Songs oder gekonnte Wort- und Sachspiele. Wie tagesaktuell und spontan sie dabei sein können, zeigen sie mit mehr als einer Anspielung auf die Fynn-Kliemann-Enthüllung Jan Böhmermanns, die noch am selben Tag stattgefunden hat und sofort groß durch die einschlägige deutsche Presse gewandert ist. So witzeln (und singen!) die beiden, dass ihre Songs ja alle fair in Europa produziert worden seien. So fair?, fragt Max seinen Bandkollegen, das sei Ansichtssache. Man habe es jedenfalls versucht, die Songproduktion nach Bangladesch auszulagern, nur seien die Ergebnisse nie so wirklich zufriedenstellend gewesen. Da könne man ja jetzt auch offen drüber reden, scherzt Jonas.
Insgesamt funktionieren Das Lumpenpack mit Bandbegleitung sehr gut. Die Songs sind eingängig, werden musikalisch hier zweifelsfrei aufgewertet und viele der Stücke werden plötzlich von der Singer-Songwriter-Nummer zum tanzbaren Beat. Doch genau dabei könnte mancher sagen, dass die Gruppe sich mit dieser Entscheidung nicht nur einen Gefallen getan haben dürfte: Denn vom Charme der alten Tage büßen die beiden Musiker definitiv ein wenig ein. Und so bleibt beim ein oder anderen der textlastigen Songs das Gefühl zurück, dass er doch eigentlich in der Einfachheit der einen Gitarre, der zwei Stimmen seine Botschaft besser entfalten konnte.
Setlist: Die Liebe in Zeiten von Amazon Prime / Henning May / Dolce Wohnen / Heilpraktiker / Gisela / Pädagogen / Guacamole (kurzer Teaser) / Angelsimulator 2k10 / Immer noch drauf / Hauch mich mal an / Wenn alle wärn wie wir / Magst oder stirbst / Liebe Grüße / Ford Fiesta / Einfache Gefühle / Warm im Altenheim / Kurze Hosen / HausKindBaum / Mein Hass / Guacamole – Zugaben: Buntes Papier / WZF
Bericht: Thomas Steinbrunner