Dienstagabend, der 18. Juli. Aus dem grellen Gelb der Sendlinger-Tor-U-Bahn-Station, aus der belebten Helle des frühen Sommerabends kommend, müssen sich die Augen erst an das gedämpfte Licht, an die hochhäusliche Atmosphäre der St.-Matthäus-Kirche gewöhnen. Nicht Kirch-, sondern Konzertgänger*innen sind es, die die Reihen zunehmend füllen; gekommen, Emma Ruth Rundle zu hören. Die US-amerikanische Musikerin wird heute ihr 2021 erschienenes Album „Engine of Hell“ in voller Länge präsentieren.
Es ist schwer, nicht eine gewisse, wechselseitig dämpfende Dissonanz wahrzunehmen zwischen der gewöhnlichen Szenerie freudiger Erwartung vor einem Konzert, den Gesprächen, dem Lachen, dem Anstoßen, und der Kulisse des Hauses, dem Altar hinter dem offenen Flügel, auf dem Rundle später spielen wird, dem großen Gekreuzigten darüber. Mag auch Rundles Musik von mitunter niederschmetternder Schwermut sein, man ist doch (auch) hier, um sich zu unterhalten. Bier darf nur im Vorraum getrunken werden.
Rundle wird begleitet von William Fowler Collins. Der aus New Mexico stammende Ambient-Künstler nimmt um 20 Uhr für ein halbstündiges Set vor den nun mehr gut gefüllten Bankreihen Platz. Sein Instrumentarium besteht aus E-Gitarre und einer Art von Pinsel, mit welchem er die Saiten anschlägt. Zu sagen, Collins erzeuge einen Klangteppich, würde seiner Musik nicht gerecht. Nicht ein Teppich, sondern ein umfassendes, räumlich-raumloses Medium, wogend, schwellend, in seiner Lautstärke desorientierend. Collins‚ Performance hat weder Anfang noch Ende – nur von außen beigebrachtes Beginnen und Aufhören. Es gibt keinen merkbaren Fortschritt, nur ein wolkenschattenverwandtes Wandern/Wandeln. Das gibt viel, beeindruckt – doch ist auf die Dauer auch herausfordernd.
Die Lichter verlöschen, am Arm geführt von ihrem Tourbegleiter tritt die sehbehinderte Rundle an ihr Instrument, beleuchtet von einem einzigen schwachen Spot. „Hi. My name is Emma and I will play some music for you.“ Sie spielt. Mit durchgedrücktem Fortepedal intoniert sie „Return„. Die Stücke auf „Engine of Hell“ wirken auf Tonträger schlicht, reduziert, rein. Hier atmet Rundle durch ihre Musik, dehnt sie, öffnet sie. Ihr Gesang ist leise, die künstliche Verstärkung macht das Physische ihrer Stimme, das Strömen der Luft hörbar, was manchmal die Bögen der Melodien verschwimmen lässt.
Rundles undeutlich aus der Dunkelheit tretende Präsenz, ihre so intim nahe Stimme, ihr Klavier- und Gitarrenspiel, das wie diese Stimme mit einer Schwerelosigkeit, die sich gleichsam mit jedem Ton neu vom Boden lösen muss, das Kirchenschiff erfüllt, durch das ab und an die Blaulichter vorbeifahrender Einsatzwagen geistern – all das erzeugt zusammen eine in der Tat besondere Atmosphäre. Eine Atmosphäre, die Rundle selbst immer wieder aufbricht. Ihre humorigen, bodenverhafteten Ansprachen konterkarieren das Gefühl von Gebrochenheit und Verlust, das ihre Musik evoziert. „This music is so depressing, you have to make a joke sometimes“, erklärt sie.
Mag dann auch das Zurückfinden in die Musik nicht immer sofort gelingen, die Stücke sprechen für sich und bedürfen nicht des Ambientes, um ihre Wirkung zu entfalten. Besonders berührend: „Dancing Man“. „In My Afterlife“, der letzte Song des Albums, schließt mit dem Vers: „and now we’re free“ – „now you’re free“, setzte Emma Ruth Rundle hinzu, bedankt sich für die Aufmerksamkeit. Das Licht geht an, als Epilog spielt Rundle „Marked For Death“ und – dem Titel zuwider am Piano – „Pump Organ Song“. Mit stehenden Ovationen verabschiedet sich das Publikum von der Künstlerin.
Setlist: Return / Blooms of Oblivion / Body / The Company / Dancing Man / Razor’s Edge / Citadel / In My Afterlife / Marked For Death / Pump Organ Song
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